„Du hast genug getan“ Die Welt sagt Helmut Kohl Adieu

Straßburg (dpa) - Auch wenn Helmut Kohl gestorben ist - EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat noch eine Bitte an ihn.

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„Lieber Helmut, Du bist jetzt im Himmel. Versprich mir, dass Du dort nicht sofort einen CDU-Ortsverband gründest. Du hast genug getan, für deine Partei, dein Land, für unser gemeinsames Europa.“ Er schwärmt von dem „deutschen und europäischen Patrioten“, dem „Nachkriegsgiganten“ und berichtet von Kohls großen Verdiensten. Aber es blitzt eben auch dieser Humor auf in trauriger Stunde. Kohl hätte das gefallen.

Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union, die Kohl so wesentlich geprägt hat, wird für einen Politiker ein Europäischer Trauerakt ausgerichtet. In Straßburg, „am Sitz des Parlaments, dessen Freund er immer war“, sagt Juncker. Unweit des Rheins, nicht weit von seiner Heimatstadt Ludwigshafen entfernt.

Sie haben ein schönes Porträt von Kohl aufgestellt. Es zeigt ihn im hohen Alter mit verschmitztem Lächeln. Bewunderer, Wegbegleiter, Staats- und Regierungschefs stehen an seinem Sarg, der in eine Europa-Flagge gehüllt ist, und beschreiben ihn als Mann mit Werten: Verlässlichkeit, Vertrauen, Idealismus, Überzeugungskraft, Mut. Als Vermittler zwischen Ost und West und zwischen Menschen.

Alle Redner im Straßburger Europaparlament sind wie Kohl Praktiker der Macht, aktive oder ehemalige Politiker. Alte Hasen wie Bill Clinton und politische Wunderkinder wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Sie bescheinigen Kohl großen Mut und Idealismus, Pragmatismus, politisches Feingefühl und Überzeugungskraft.

Kaum weniger bewegt als Juncker zeigt sich der Gast von der anderen Seite des Atlantiks. Der ehemalige US-Präsident Clinton macht „Helmut“ eine Liebeserklärung: „Er wollte eine Welt schaffen, in der niemand dominiert. ... Du hast das gut gemacht in deinem Leben. Und wir, die wir dabei sein durften, lieben dich dafür.“ Clinton, der frei spricht, berichtet im Plauderton was ihn so fasziniert hat an der Gestalt Kohl. „Er gab uns die Chance, an etwas beteiligt zu sein, das größer ist als wir selbst. Größer als unsere Amtszeiten, größer als unsere flüchtigen Karrieren. Denn wir alle werden früher oder später in einem Sarg wie diesem liegen.“

Die Feier spiegelt eine Epoche europäischer Geschichte und ist dabei auch Bühne der Gegenwart. Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedew ist angereist und spricht, wie das Europaparlament hervorhebt, „auf Wunsch der Witwe Helmut Kohls“ und als Privatperson - wie auch Clinton und Spaniens Ex-Premierminister Felipe González. Nur, dass Medwedew eben noch im Amt ist. Allzu herzlich sind die Beziehungen zu Russland derzeit nicht: Seit Jahren straft die EU Moskau für seine Rolle im Ukraine-Konflikt mit schmerzhaften Wirtschaftssanktionen, Russland revanchiert sich mit Lebensmittel-Importverboten. Um Kohls Sarg kommen sie alle zusammen, zur Not als „Privatperson“.

Medwedew unterstreicht, für Kohl sei Russland Bestandteil eines vereinten Europas gewesen. „Für ihn war das ein Teil eines gemeinsamen Hauses, ohne Stacheldraht.“ Im Publikum lauscht der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Und der russische Ministerpräsident muss seinerseits mit anhören, wie Merkel Kohls Rolle bei der Nato-Osterweiterung lobt - eine Entwicklung, durch die sich Russland bedroht sieht.

Kohls Witwe Maike Kohl-Richter verdeckt ihr Gesicht mit einer großen schwarzen Sonnenbrille und einem Trauerschleier. Sie sitzt aufrecht. Tränen kann sie nicht zurückhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in ihrer Rede darauf eingehen, wie Maike Kohl-Richter den mehr als 30 Jahre älteren Kohl „voller Hingebung und Liebe“ bis zum Tod gepflegt hat. Und vorsichtig deutet sie auch die schwierigen Seiten Kohls an. Doch dazu später.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagt: „Helmut Kohl reichte uns die Hand.“ Er erinnert wie viele Redner an die Versöhnungsgeste Kohls und des französischen Präsidenten François Mitterrand 1984, als sie in Verdun Hand in Hand vor den Weltkriegsgräbern standen. Die einstigen Kriegsfeinde Deutschland und Frankreich, die zur deutsch-französischen Achse wurden, die Europa stützt. „Für meine Generation ist Helmut Kohl schon Teil der europäischen Geschichte“, sagt der 39-Jährige Macron. Pragmatismus, vereint mit Idealen und Freundschaften, das habe Kohl ausgezeichnet. Und so wolle er es auch in der Zusammenarbeit mit Angela Merkel halten. Kohl, das Vorbild.

Zu den traurigen Seiten gehört für manche an diesem Tag des Abschieds aber auch, dass es keinen deutschen Staatsakt für Kohl gegeben hat. Er wollte wohl frühere politische Gegner wie den heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier als Redner verhindern. Traurig auch, dass er und seine Söhne Peter und Walter sich nicht mehr versöhnt haben. Maike Kohl-Richter verwehrte ihnen zuletzt den Einlass ins Elternhaus in Ludwigshafen-Oggersheim.

Und die Spendenaffäre der CDU, wegen der er den Ehrenvorsitz der Partei zurückgab, wurde nie aufgeklärt. Die Namen der Spender nimmt Kohl, der am 16. Juni im Alter von 87 Jahren starb, mit ins Grab.

Eine schwierige Grundkonstellation ist das für Merkel, als sie ans Rednerpult tritt. Alle Welt weiß von ihrem Zerwürfnis mit Kohl in der Spendenaffäre, als die einstige Ziehtochter Kohls die CDU 1999 auffordert, sich von ihm zu emanzipieren. 25 Jahre war er Parteivorsitzender. Zu einer richtigen Versöhnung mit Merkel kam es nicht mehr.

Merkel streift, dass Kohl polarisierte und Widerworte nicht schätzte. Viele Menschen hätten sich an ihm gerieben. Sie selbst auch. Und sie erinnert an Kohls erste Ehefrau Hannelore, die sich vor fast genau 16 Jahren das Leben nahm. Sie sagt, ihr Mitgefühl gelte Maike Kohl-Richter und „allen, die in Helmut Kohls Familie um ihn trauen“. Seine Söhne werden bei der Trauerfeier nicht gesehen.

Vor allem aber würdigt sie Kohl als großen Brückenbauer zwischen Ländern und Menschen. Als Weltpolitiker, Europäer, Freund Frankreichs, als Kanzler der Einheit. Der, der das politische Gespür hatte, die Zeichen der Zeit erkannte und anders als andere nach dem Fall der Mauer die Chance zur historischen Wiedervereinigung Deutschlands nutzte. Kohl, der Staatsmann.

Zum Schluss sagt die in der DDR aufgewachsene Pfarrerstochter, den Blick auf seinen Sarg gerichtet: „Lieber Bundeskanzler Helmut Kohl, dass ich hier stehe, daran haben Sie entscheidenden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben. (...) Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Angedenken in Dankbarkeit und Demut.“