Florida flieht Der Sonnenstaat vor dem Hurrikan
Palm Beach (dpa) - Die rund 200 Meilen auf dem Highway zwischen Miami und Orlando sind ein einziger Stau. Tag und Nacht reiht sich Auto an Auto, vor den Tankstellen drängen sich die Fahrzeuge besonders.
Florida flieht. Wer aus dem Süden, etwa aus der Metropolregion um Miami und Palm Beach weg kann, der geht. So schnell wie möglich.
Hurrikan „Irma“, obwohl inzwischen von der höchsten Stufe fünf auf vier heruntergestuft, könnte verheerende Schäden anrichten. Meterhohe Wellen, Windböen mit bis zu mehr als 300 Kilometern pro Stunde. „Wartet nicht! Es wird nicht besser“, ruft Floridas Gouverneur Rick Scott seinen Landsleuten zu. „Heute ist der Tag, an dem ihr es richtig machen könnt, für euch und eure Familien.“
Britney Fernandez bleibt. Die 24-Jährige arbeitet im „Bradley's“, einer Bar an der Uferpromenade nahe dem Jachthafen von Palm Beach. Normalerweise spielen hier an einem Freitagabend Livebands, Hunderte junger Leute vergnügen sich auf der Open-Air-Tanzfläche. An diesem Freitag ist Britney mit ein paar Stammgästen alleine an der Bar unter dem großen Alligator-Kopf, der von der Decke hängt. Ein paar Stunden später wird auch sie weg sein. Dann greift die Ausgangssperre in Palm Beach.
Das „Bradley's“ liegt mitten im Evakuierungsgebiet. Die Skipper haben längst ihre Boote aus der Marina geholt und an Land in Sicherheit gebracht. Auf dem Flagler Drive, der sonst belebten Strandpromenade, verliert sich kaum ein Auto. Nebenan, im „Avocado Grill“, bringt Inhaber Diego mit seinem Angestellten Donald bei drückender Schwüle und Temperaturen um die 30 Grad Tische und Stühle in Sicherheit. „Irma“, der Hurrikan, vor dem sich Florida fürchtet und der in der Karibik schon seine tödliche Gewalt entfaltet hat, ist nicht mehr weit.
„Uns liegt ziemlich viel an diesem Lokal, wir wollen, dass es alles gut übersteht“, sagt Britney. Eine Woche lang haben sie und ihre Kollegen so viel wie möglich sturmsicher gemacht. „Wir haben alles festgezurrt, die Möbel weggeräumt“, sagt sie, während über den Bar-Lautsprecher ausgerechnet „Hurricane“ läuft, ein Song von Luke Combs, gerade ein großer Hit in der Country-Szene.
Britneys Vater arbeitet im lokalen Dialyse-Zentrum, er darf nicht weg. „Meine Mutter würde ohne ihn nicht gehen, also bleibe ich auch“, sagt die 24-Jährige. Die Familie findet in einer aus Stahlbeton errichteten Lagerhalle Unterschlupf, ein paar Meilen weiter im Inland. Sie gehört Britneys Onkel.
Hurrikan „Irma“ könnte zum schwersten Sturm werden, den Florida je gesehen hat. Und Florida hat schon vieles gesehen. 1992 hatte „Andrew“ große Teile der Halbinsel, strategisch ungünstig zwischen dem Atlantik und dem Golf von Mexiko gelegen, verwüstet. Das türkisfarbene Wasser und die weißen Sandstrände locken die Touristen in Scharen. Das für Urlauber angenehm warme Wasser besonders im Golf von Mexiko lässt aber auch die Gefahr von Tropenstürmen extrem steigen.
„Irma“ wird am Wochenende mit voller Wucht auf Florida treffen, sagt der US-Hurricane-Center in Miami voraus. Das Zentrum soll am Sonntagmorgen (Ortszeit) die Inselgruppe der Florida Keys auf Höhe von Marathon und die Südküste des US-Bundesstaats erreichen. Erste Ausläufer könnten den Staat schon am Samstag gegen 8.00 Uhr (14.00 Uhr MESZ) erreichen. Allein in der Gegend um Miami im Südwesten haben die Behörden 650.000 Menschen zum Verlassen ihrer Häuser aufgerufen. 13 Notunterkünfte stehen bereit. Auch Donald Trumps Ferienanlage Mar-a-Lago in West Palm Beach wird geräumt.
Für die gesamte Südküste Floridas, vom Atlantik bis in den Golf von Mexiko, gilt eine Warnung vor bis zu drei Meter hohen Wellen. Weit über 100.000 Menschen hatten schon am Freitag ihre Wohnungen verlassen. Der Sturm könnte nordwärts ziehen und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. In Orlando, zentral in Florida gelegen, macht von Samstag an der Flughafen zu, im ganzen Hurrikangebiet, das bis hinauf nach Georgia und South Carolina reicht, fielen mehr als 4000 Flüge aus.
Der Schulunterricht wurde in ganz Florida abgesetzt, die meist als Flachbauten angelegten Schulgebäude wurden als Notunterkünfte gebraucht. Gouverneur Scott ließ auf den Highways die Mautstellen räumen - die fliehenden Autofahrer sollen nicht auch noch zur Kasse gebeten werden. „Wir haben 1000 Trucks und 100 Helikopter bereitstehen“, sagt Scott.
Alte Leute müssen aus Hochhäusern geholt, Kranke aus Kliniken transportiert werden. In den Baumärkten stehen die Männer an und warten auf Nachschub in der ausverkauften Sperrholzabteilung. Fenster und Türen müssen verbarrikadiert werden. Angst haben sie weniger vor dem Sturm selbst. „Was danach kommt, das Aufräumen in tropischer Hitze, die Luftfeuchtigkeit - das macht mir Sorgen“, sagt Conrad, der seit 1971 in Palm Beach lebt.
Nicht alle sehen es bitterernst. „Ich habe eine Menge Hurrikans gesehen“, sagt Sam Fernsell. Der 56-Jährige hat sein ganzes Leben in Palm Beach verbracht, als jungen Mann ließen ihn die Eltern als Aufpasser zu Hause, wenn sie vor den Wirbelstürmen flohen. „Ich bin ein ziemlicher Profi“, sagt Fernsell lachend. „Angst habe ich nicht, meine einzige Sorge ist, wie lange der Strom ausfallen wird.“ Er habe weder eine Taschenlampe noch Kerzen zu Hause, sagt Fernsell. „Ich habe Wodka, ich bin okay“, scherzt er.