Deutsche Politik schockiert über Strafmaß
Berlin (dpa) - Regierung und Opposition in Deutschland haben schockiert auf das Strafmaß für den Kremlkritiker Michail Chodorkowski reagiert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich enttäuscht und nannte das Strafmaß hart. Parteiübergreifend beklagten Politiker einen Rückschlag für die Entwicklung des russischen Rechtsstaat und den Modernisierungskurs des Landes.
Ein Moskauer Gericht verurteilte Chodorkowski am Donnerstag zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren. Der politische Gegner von Regierungschef Wladimir Putin kommt damit erst 2017 wieder auf freien Fuß.
Merkel sagte nach Angaben des Bundespresseamtes in Berlin: „Es bleibt der Eindruck, dass politische Motive bei diesem Verfahren eine Rolle gespielt haben.“ Die CDU-Vorsitzende ergänzte: „Dies widerspricht Russlands immer wieder geäußerter Absicht, den Weg zur vollen Rechtsstaatlichkeit einzuschlagen.“
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) regierte ebenfalls mit Sorge. Die erneute Verurteilung „ist der bedauerliche Schlusspunkt eines von vielen Zweifeln begleiteten Prozesses“. Es liege im eigenen russischen Interesse, die Sorgen der internationalen Öffentlichkeit zu dem Ergebnis und Ablauf des Prozesses ernst zu nehmen.
Die Bundesregierung kritisierte das Urteil als Rückschritt auf dem von Präsident Dmitri Medwedew eingeschlagenen Weg der Modernisierung Russlands. „Das Verfahren und das Strafmaß werfen erhebliche Fragen hinsichtlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf“, teilte der Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans mit. Die Regierung sei über das Urteil besorgt und werde den weiteren Verlauf des Falles mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), zeigte sich „schockiert und zutiefst persönlich betroffen“. In Europa müsse nun überlegt werden, „wie wir die russische Zivilgesellschaft, die Leute, die für Bürgerrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kämpfen, in Zukunft besser unterstützen können“. Das Verfahren, der Schuldspruch und die Höhe des Urteils „erschüttern das Vertrauen in die rechtsstaatliche Modernisierung Russlands“.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte, das Strafmaß für Chodorkowski bestätige ihre schlimmsten Befürchtungen“. Dass der Kremlkritiker für den gleichen Sachverhalt, für den er bereits sieben Jahre lang im Gefängnis war, nun noch mal verurteilt wurde, sei völlig inakzeptabel. „Die Ankündigungen russischer Politiker, rechtsstaatliche Prinzipien in Zukunft achten zu wollen, haben sich als inhaltslos erwiesen.“ Schuldspruch und Strafmaß seien eindeutig politisch motiviert.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte: „Schuldspruch und Strafmaß zeigen, wie weit Russland von einem Rechtsstaat entfernt ist, und wie stark politische Willkür die Justiz immer noch bestimmt.“ Ohne Freiheitsrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung könne es keine Modernisierung Russlands geben. Deutschland wolle mit Russland eng und partnerschaftlich zusammenarbeiten. Gerade deshalb gebe es die Verpflichtung, auf gravierende Missstände hinzuweisen und Verbesserungen anzumahnen. „Denn wenn Menschenrechte mit den Füßen getreten werden, ist dies nie eine innere Angelegenheit eines Landes.“
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth sagte, das Urteil gegen Chodorkowski und seinen früheren Geschäftspartner lasse vermuten, dass beide „nach dem Willen der russischen Machthaber für immer hinter Gittern verschwinden sollen“. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck, nannte das Strafmaß unverhältnismäßig. Bundesregierung und EU müssten dem Kreml „nun unmissverständlich klar machen, dass nur ein rechtsstaatliches Russland strategischer Partner sein kann.“ Auch einflussreiche westliche Investoren seien aufgerufen, „ihr opportunistisches Schweigen zu beenden“.