EHEC-Spur in Mülltonne entdeckt
Berlin (dpa) - Waren es doch Gurken? An einem Gemüserest in einer Mülltonne ist das tückische EHEC-Bakterium entdeckt worden. Ob die Spur weiterhilft, ist unklar. Eine zentrale Seuchenbekämpfung hält die Regierung weiter nicht für nötig.
In einer Mülltonne in Magdeburg wurde die grassierende Form des Darmkeims an einem Gurkenrest entdeckt. Ob dies zum Ursprung der Infektionswelle mit inzwischen mindestens 25 Toten führt, ist aber noch unklar. Die Indizien bei einem Gemüsesprossen-Hof in Niedersachsen verdichteten sich.
Trotz Kritik am Krisenmanagement will die Bundesregierung keine nationale Seuchenbekämpfung schaffen. Das machte sie am Mittwoch nach einer Krisensitzung der Gesundheits- und Verbraucherminister von Bund und Ländern mit EU-Kommissar John Dalli in Berlin klar.
Unter der EHEC-Krise leidende Gemüsebauern sollen nach dem Willen der EU-Kommission deutlich höher entschädigt werden als geplant. Für Umsatzeinbußen sollen die europäischen Landwirte 210 Millionen Euro statt der zunächst vorgeschlagenen 150 Millionen Euro erhalten. „Das Geld wird bis Juli bereitstehen“, sagte Agrarkommissar Dacian Ciolos in Brüssel. Die EU-Staaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen. Eine nochmalige Aufstockung schloss Ciolos nicht aus.
Welche Bedeutung die in der Mülltonne entdeckten Keimspuren haben, ist fraglich. „Aus diesem Fund können keine Rückschlüsse gezogen werden“, sagte eine Sprecherin des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dem „Tagesspiegel“ (Donnerstag). Man wisse nicht, ob der Erreger vorher auf der Gurke war oder erst über den Müll auf das Gemüse kam. Die Tonne gehört zu einer an EHEC erkrankten Familie. Wie der Keim dorthin kam, war zunächst offen. „Wir werden nicht mehr zweifelsfrei ermitteln können, wie er da hingelangt ist“, sagte der Sprecher des Landesgesundheitsministeriums, Holger Paech. Die Gurkenreste lagen dort schon mindestens seit eineinhalb Wochen. Es sei zudem kein Bezug der Familie zu Norddeutschland bekannt.
Unterdessen verdichteten sich die Hinweise auf einen gesperrten Biohof in Niedersachsen als eine mögliche Quelle der Epidemie. Eine dritte Mitarbeiterin sei im Mai vermutlich an dem Darmkeim erkrankt gewesen, sagte Landesagrarminister Gert Lindemann (CDU). Vorher war bereits die EHEC-Infektionen einer Mitarbeiterin des Herstellers von Sprossengemüse bekannt, eine zweite litt an Durchfall. Der Hof hatte meist über Zwischenhändler Sprossen an Restaurants, Hotels und Kantinen geliefert, deren Gäste teils dutzendfach an EHEC erkrankten. In Sprossen-Proben fanden sich aber bisher keine EHEC-Erreger.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte nach dem Treffen in Berlin, der Darmkeim habe bisher 25 Todesopfer in Deutschland gefordert. Allein in Niedersachsen wurden am Mittwoch der siebte und achte Tote registriert. Die Zahl der Neuinfektionen sinke aber, erklärte Bahr. Dies gebe Anlass für Optimismus, „dass wir bundesweit das Schlimmste hinter uns haben“. Entwarnung gebe es aber noch nicht.
Die Infektionswelle sei der schwerste jemals beobachtete EHEC- Ausbruch in Deutschland und Europa, teilten die Minister mit. Bisher seien 1959 Fälle registriert, davon 689 mit dem besonders schweren Verlauf, sagte Bahr am Mittwochmittag im Bundestag. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Todesfälle und Neuinfektionen gebe. Das Robert Koch-Institut habe aber zurückgehende Zahlen von Neuinfektionen festgestellt. Warnungen vor dem Verzehr von rohen Gurken, Tomaten, Salat und Sprossen gelten weiter.
Kritik an einem Kompetenzwirrwarr der zuständigen Stellen wiesen Bahr und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) zurück. Es sei eine „typisch deutsche Diskussion“, dass nun nach einer neuen Behörde gerufen werde, sagte Bahr. „Es ist nicht die Frage, ob es nur eine Behörde gibt, sondern es kommt auf die Zusammenarbeit der Behörden an.“ Er habe keinen Anlass, an der Kooperation zwischen Bund und Ländern zu zweifeln. Die Minister vereinbarten „nach dem aktuellen Geschehen eine sorgfältige Evaluierung der Zusammenarbeit“. Auch EU-Verbraucherkommissar Dalli will nach Ende der Krise über mögliche Lehren sprechen. Die deutschen Anstrengungen gegen EHEC seien aber beeindruckend.
Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) sagte, es sei bei Epidemien „durchaus gerechtfertigt, dass der Bund mehr Zuständigkeiten übernimmt“. Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie forderte einen zentralen Regierungskoordinator. Bahr erinnerte daran, dass es eine zentrale Stelle - das Bundesgesundheitsamt - bereits gab. Dessen Zuständigkeiten wurden aber 1994 im Zusammenhang mit HIV-verseuchten Blutpräparaten aufgeteilt.
Mediziner der Universitätskliniken Greifswald und Bonn haben Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei EHEC-Patienten mit dem HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte Mediziner Andreas Greinacher. Die Autoantikörper erhöhten einen Gerinnungsfaktor, was die Durchblutung von Gehirnregionen und der Nebennieren einschränke.
Bahr wies darauf hin, dass Krankenhäuser mit zahlreichen EHEC- Patienten zusätzliche Vergütungen beantragen könnten. Es gebe keinen Anlass zu Gesetzesänderungen. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands forderte, alle EHEC-Fälle müssten außerhalb des vereinbarten Budgets zum vollen Preis abgerechnet werden.
Wegen der EHEC-Krise ist das Geschäft mit Salat, Gurken und Tomaten nach Angaben des Deutschen Fruchthandelsverbands fast komplett zusammengebrochen. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner bezifferte den Schaden der deutschen Gemüsebauern auf bislang weit über 65 Millionen Euro.