Analyse: Konsequenzen vielleicht - aber nicht jetzt
Berlin (dpa) - Bund und Länder bescheinigen sich gegenseitig, in der EHEC-Krise im Prinzip alles richtig gemacht zu haben. Über mögliche Konsequenzen will man erst reden, wenn die Infektionswelle überstanden ist.
Eine neue Spur kommt aus einer Mülltonne in Magdeburg.
Daniel Bahr versucht es mit einem lockeren Spruch: „Es gibt auch in einem Chor viele Stimmen. Das hören wir vielleicht ganz gerne, wenn es ein guter Chor ist.“ Der neue Gesundheitsminister mit dem FDP-Parteibuch redet von der Kritik am Zuständigkeits-Wirrwarr beim EHEC-Krisenmanagement und von den Verzehr-Warnungen für Gurken, Tomaten, Salatblätter und Sprossen. Die Vielstimmigkeit eines guten Ensembles füge sich letztlich - das soll der Vergleich sagen - dann doch zum harmonischen Ganzen.
Die Gesundheits- und Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern haben sich an diesem verregneten Sommertag bei einer Sonderkonferenz zur Bewältigung der EHEC-Epidemie in einem Berliner Hotel an einen Tisch gesetzt. Mit dabei sind die Experten der mit der EHEC-Spurensuche befassten Institute und EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Es soll Zwischenbilanz gezogen werden. Konsequenzen gibt es nicht - noch nicht.
Nach dem dreistündigen Treffen lautet die Botschaft: Die EHEC-Krisenfeuerwehren haben zwar den Brand noch nicht gelöscht, sie arbeiten aber auf allen Ebenen gut zusammen. Alle seien bemüht, der Quelle des heimtückischen Darmkeims „mit Hochdruck“ auf die Spur zu kommen. Der hat seit dem Ausbruch der Epidemie in Deutschland immerhin schon 25 Menschen das Leben gekostet. Ob der am Mittwoch bekanntgewordene, in einer Mülltonne gefundene EHEC-Keim auf einem Gurkenrest im Kampf gegen die Krankheit einen entscheidenden Schritt nach vorne bringt, war zunächst unklar.
Das Fazit der Ministerrunde in Berlin fiel einmütig positiv aus. Es gebe zwar unterschiedlicher Zuständigkeiten, man arbeite dennoch „gut zusammen“, übt Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) den Schulterschluss mit Bahr. Selbst Dalli hält sich mit Kritik zurück: EU-Experten hätten sich in den vergangenen Tagen ein Bild vom Kampf gegen die Infektionswelle in Deutschland gemacht - und seien von den Anstrengungen beeindruckt gewesen.
Und die Bremer Gesundheitssenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) lobt, es gebe ein „gut eingeübtes System“ zur Information der Länder untereinander. In einer gemeinsamen Erklärung bescheinigen sich die Beteiligten, dass für sie der Schutz der Verbraucher oberste Priorität hat - und dass es auch dann Verzehr-Warnungen geben soll, „wenn ein letzter Beweis noch nicht vorliegt“. Selbst der Gast aus Brüssel hält die Warnung der deutschen Behörden vor spanischen Gurken für gerechtfertigt.
Dass möglicherweise doch ein paar Dinge zu verbessern sind, macht die Runde erst im letzten Absatz ihres Kommmuniqués klar. Einig sei man sich, heißt es dort auf Seite 3, dass „eine sorgfältige Evaluierung der Zusammenarbeit zwischen EU, Bund und Ländern sowie zwischen den Gesundheits- und Lebensmittelüberwachungsbehörden“ erst nach Ende der Infektionswelle geschehen soll. Auch EU-Kommissar Dalli meint, es sei nicht die Zeit für Kritik.
Dem Ruf nach einer Bündelung der Kompetenzen beim Bund - wie er auch vom bayerischen Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) zu hören war - kann und will Bahr partout nichts abgewinnen. Das sei „typisch deutsch“, sofort nach einer neuen Behörde zu verlangen. Immerhin hat 1994 einer seiner Amtsvorgänger - der CSU-Politiker und heutige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer - das damalige Bundesgesundheitsamt wegen Schwerfälligkeit und Schlamperei zerschlagen. Eine Superbehörde scheint also auch kein Patentrezept.
Marathonläufer Bahr (Bestzeit: 3 Stunden und 43 Minuten) weiß, dass die gefährliche EHEC-Krise noch nicht ausgestanden ist - und er wegen des Trommelfeuers der Kritiker auch auf diesem Feld Durchhaltevermögen braucht. Schon sein Start als Minister vor knapp vier Wochen war von einem Skandal im Gesundheitssystem überschattet: Versicherte der bankrotten City BKK wurden von anderen Krankenkassen abgewimmelt.
Jetzt sorgt die lange erfolglose Suche nach dem unsichtbaren Feind im Essen für Verunsicherung. Bahr sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, sein Krisenmanagement sei mangelhaft, es fehle an Führungskraft und sein Amt überfordere ihn. Der Gesundheitsminister sei dabei, „seine Probezeit zu vergurken“, kalauerte SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Da Bahr schon Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsressort gewesen sei, gelte für ihn nicht die übliche Schonfrist von 100 Tagen für Minister.