Analyse Ein Stachel im Fleisch der Grünen: Winfried Kretschmann
Stuttgart (dpa) - Am Ende wird der baden-württembergische Ministerpräsident gefragt, wie er es fände, wenn Angela Merkel noch einmal Kanzlerkandidatin würde. Winfried Kretschmann zögert nicht lange.
„Das fände ich sehr gut“, sagt der Grünen-Politiker am Mittwochabend in der ARD-Sendung „Maischberger“.
Für Kenner ist die Antwort nicht überraschend, schließlich hat der Regierungschef in der Flüchtlingskrise schon einmal durchblicken lassen, dass er für Merkel bete. Dennoch lässt der Aufschrei in Kretschmanns eigener Partei nicht lange auf sich warten - vor allem aus dem linken Parteiflügel.
Ein Grüner, der sich offen für eine CDU-Kanzlerin ausspricht, ein Jahr vor der Bundestagswahl - für manche Grüne ist das unerhört. Die Bundesvorsitzende Simone Peter erinnert den Schwaben daran, dass die Grünen die große Koalition in Berlin doch ablösen wollen - und sich bestimmt nicht auf einen Kanzlerkandidaten festlegen.
In Kretschmanns Heimat macht Landesparteichef Oliver Hildenbrand klar, dass sich Koalitionsfragen erst nach der Bundestagswahl stellten. Und die Grüne Jugend erinnert den Regierungschef daran, dass die Partei doch ohne Vorfestlegung in den Bundestagswahlkampf ziehen wollte.
Kretschmann und seine Partei - das ist seit Jahrzehnten ein schwieriges Verhältnis. Als Gründungsmitglied der Grünen hat er sich für vieles verkämpft. Zeitweise entfremdete er sich von seiner Partei, doch ein Austritt kam für ihn nicht infrage. Dann wurde Kretschmann 2011 der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland. 2016 setzte er noch eins drauf, indem er die Grünen zum ersten Mal zur stärksten Kraft in einem Bundesland machte. Der 68-Jährige gehört zu den beliebtesten Politikern Deutschlands und wird als nächster Bundespräsident gehandelt. Und doch ist seine Partei nicht ganz glücklich mit ihm.
Vor allem Parteilinke reiben sich an Kretschmann. Der stimmte 2014 im Bundesrat dem Unionsprojekt zu, auch die Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären - für manche Grüne ein Tabubruch. Er legt im wirtschaftsstarken Baden-Württemberg Wert auf ein gutes Verhältnis zu Daimler und Porsche. Er ist strikt gegen die Einführung einer Vermögensteuer und ist deshalb mitverantwortlich dafür, dass die Grünen beim Parteitag Mitte November in Münster gerade auch über dieses Thema streiten werden. Und er gilt als Anhänger eines schwarz-grünen Bündnisses auf Bundesebene. Der Oberrealo regiert im Südwesten mit der CDU als Juniorpartner - und zwar „besser als ich dachte“.
Kretschmann ist oft ein Stück pragmatischer als der Rest seiner Partei - oder eben ein Stück weit eher bereit, sich von grünen Idealen zu trennen, wie ihm die Parteilinken vorwerfen. Die Kritik schlägt ihm vor allem im Bund und aus anderen Bundesländern entgegen. In Baden-Württemberg ist er unangefochten, auch wenn es vornehmlich hinter den Kulissen auch schon mal Meinungsverschiedenheiten gibt. Kretschmann ist das Aushängeschild der grünen Realos - gerade an ihm entspinnt sich regelmäßig auch der alte Flügelstreit in der Partei.
Nun widmet ihm die ARD eine mehr als einstündige Talkshow. Wie nach einer langen „Spiegel“-Story über „Kretsch“ im Sommer schießen die Gerüchte wieder ins Kraut. Ist was dran an den Spekulationen, dass er Bundespräsident werden könnte, wenn Union und SPD sich nicht auf einen Nachfolger von Amtsinhaber Joachim Gauck einigen können? Die Südwest-FDP sieht Kretschmanns Auftritt bei „Maischberger“ als „verzweifelten Versuch einer Initiativbewerbung“. „Ich fordere Herrn Kretschmann auf, nun endlich seine Kandidatur offiziell anzumelden, damit das Land Klarheit bekommt“, sagt Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.
Kretschmanns Antwort dazu lautet seit langem: „Ich strebe dieses Amt nicht an.“ Aber was ist, wenn das Amt zu ihm kommt? Bundespräsident - da dient man sich selbst nicht an, kann aber auch schlecht Nein sagen, wenn man gefragt wird. Schon in Stuttgart wird ihm nachgesagt, zuweilen präsidial zu regieren und quasi über den Dingen zu stehen. Auch in Teilen der CDU kommt er gut an, manche halten ihn für einen Konservativen in grünem Gewand. Und die CDU wäre mit einem Schlag ihr größtes Problem in Baden-Württemberg los. Bei der Landtagswahl liefen viele CDU-Anhänger gerade wegen Kretschmann zu den Grünen über.
Andererseits hat Kretschmann seinem Volk versprochen, volle fünf Jahre in Baden-Württemberg zu regieren - wenn die Gesundheit mitspielt. Und was aus der grün-schwarzen Koalition würde ohne den markanten Regierungschef, steht in den Sternen. Ein grüner Nachfolger für Kretschmann steht jedenfalls noch nicht in den Startlöchern.