Analyse Nach Urteil: Theresa Mays Brexit-Pläne in Gefahr

London (dpa) - Nach der Niederlage der britischen Regierung vor dem britischen High Court herrscht Katerstimmung in der Londoner Downing Street. Das Hohe Gericht hatte entschieden, dass die Regierung die Verhandlungen über den geplanten EU-Austritt nicht ohne Zustimmung des Parlaments beginnen darf.

Das hatte sich Premierministerin Theresa May anders vorgestellt. Die Verhandlungen mit der EU sollten spätestens Ende März beginnen, hatte sie Anfang Oktober angekündigt. Eine Parlamentsabstimmung darüber hatte sie nicht vorgesehen. Das sei „ausschließlich Sache der Regierung“. Das Parlament sollte lediglich „zu Wort kommen“.

Das Gerichtsurteil macht ihr nun einen Strich durch die Rechnung. Die Regierung ließ wissen, man sei „enttäuscht“ und kündigte an, das Urteil anzufechten. Doch sollte der Richterspruch auch vor dem Supreme Court - dem höchsten Gericht des Landes - Bestand haben, könnte nicht nur Mays Brexit-Zeitplan mächtig durcheinandergeraten.

Die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten hatte vor dem Referendum am 23. Juni für einen Verbleib des Landes in der EU geworben. Theoretisch könnten diese Abgeordneten nun bei einer Abstimmung den Austritt aus der EU blockieren. Der Chef der EU-kritischen Ukip-Partei, Nigel Farage, schrieb per Kurznachrichtendienst Twitter, er fürchte, nun werde alles versucht, um den Beginn der Verhandlungen zu „verzögern oder zu verhindern“.

Dass es dazu kommt, halten Beobachter aber für unwahrscheinlich. Eher werden die EU-Befürworter im britischen Parlament wohl Bedingungen für ihre Zustimmung zu den Austrittsverhandlungen stellen. Damit könnte der Kurs der Regierung in Richtung eines „harten Brexits“ aufgeweicht werden und beispielsweise ein Verbleib im Europäischen Binnenmarkt erreicht werden.

Premierministerin Theresa May hatte beim Parteitag der Konservativen Anfang Oktober den Eindruck erweckt, sie würde die Teilnahme am Binnenmarkt zugunsten strengerer Einwanderungskontrollen aufgeben. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs solle künftig in Großbritannien nicht mehr anerkannt werden, hatte May angekündigt. Details zu ihren Plänen wollte sie aber nicht offenlegen, das schwäche sonst die Verhandlungsposition bei den Gesprächen mit Brüssel, meinte sie.

Auf diese Position wird sie sich kaum noch zurückziehen können, sollte sie tatsächlich auf die Zustimmung des Parlaments angewiesen sein, um die Verhandlungen zu beginnen. Es gibt bereits erste Spekulationen, May könnte versuchen, die absehbaren Schwierigkeiten mit vorgezogenen Wahlen zu umschiffen. Regulär würde erst im Jahr 2020 wieder gewählt werden. Doch die Risiken sind kaum abzusehen.

Labour-Chef Jeremy Corbyn begrüßte das Urteil, ließ aber wissen, seine Partei werde „die Entscheidung des britischen Volkes, die Europäische Union zu verlassen“ respektieren. Hämischer fiel der Kommentar seiner Parteikollegin Diane Abbott aus. „Parlamentarische Souveränität bedeutet parlamentarische Souveränität“ schrieb die Schatten-Innenministerin per Kurznachrichtendienst Twitter. Sie spielte damit auf die Formel „Brexit bedeutet Brexit“ an, die Theresa May seit ihrem Amtsantritt als Regierungschefin gebetsmühlenhaft wiederholt. May könnte nun gezwungen sein, darzulegen, was ein Brexit in ihren Augen wirklich bedeutet.