Porträt Energisch oder sanft: Kandidatinnen für den Grünen-Vorsitz
Hannover (dpa) - Vor dem Parteitag der Grünen drehte sich viel um Robert Habeck, der neuer Parteichef werden will. Dabei ist die Wahl der Parteichefin, die es in der Doppelspitze immer auch geben muss, eigentlich spannender: Für den Frauenplatz gibt es nämlich zwei Bewerberinnen.
Die beiden sind schon lange zusammen Zug gefahren und haben sich ganz gut kennengelernt. Ein „Geschenk“ sei das gewesen, sagt Anja Piel - Annalena Baerbock nennt die faire Konkurrenz einen „kleinen Wegweiser“ für die Grünen. Das sind die beiden:
ANNALENA BAERBOCK: DIE ENERGISCHE
Wenn Annalena Baerbock in Fahrt kommt, dann hat man manchmal Mühe, zu folgen. In schnellem Stakkato kommen dann die Sätze, nach jedem denkt man ein Ausrufezeichen automatisch mit. Egal, ob sie im Bundestag über ihr Herzensthema Kohleausstieg redet oder vor Parteifreunden erklärt, wie die Grünen gleichzeitig radikal und staatstragend sein können. Die frühere Trampolinspringerin sprüht vor Energie.
Mit 37 Jahren ist sie die Bewerberin, die für einen Generationenwechsel steht. Wie kompliziert ihre Partei ist, weiß Baerbock genau - als Mitglied der Antragskommission sortiert sie vor Parteitagen Hunderte von Anträgen und verhandelt über grundsätzliche Fragen oder die Streichung einzelner Wörter. Diese Vielfalt sei eine Stärke - ein Satz, den sie so und ähnlich häufig sagt.
Baerbocks Problem bei dieser Wahl ist, dass sie eine „Reala“ ist, also vom realpolitischen Flügel - zu dem die Partelinken auch Robert Habeck zählen. Und es geht nicht nur um die heikle Balance zwischen den beiden wichtigen Flügeln der Grünen. Baerbocks Kompetenz beim Öko-Kernthema Klimaschutz wird keiner in der Partei anzweifeln, sie kennt das Gefühl, von Kohlekumpeln ausgepfiffen zu werden. Aber was ist mit Menschenrechten, sozialen Fragen, Umverteilung?
Im kurzen Wahlkampf hat die ehemalige brandenburgische Landeschefin und Abgeordnete für den Wahlkreis Potsdam, die ursprünglich aus Niedersachsen kommt, sich um mehr Profil in diesen sozialen Themen bemüht. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen kann die Mutter zweier kleiner Kinder besonders glaubwürdig streiten.
ANJA PIEL: DIE SANFTE
„Zwei Kinder, zwei Hunde und ein Mann“, so stellt Anja Piel sich gerne vor. Tochter und Sohn sind mit 28 und 25 Jahren erwachsen, mit den Windhunden ist sie gern im Freien unterwegs. Zu den Grünen kam Piel ganz klassisch aus der Anti-Atom-Bewegung, nachdem sie aus Schleswig-Holstein nach Niedersachsen gezogen war. Am Rednerpult wirkt sie besonnen und sanft, selbst wenn sie rhetorisch mal angreift. Sie wird oft als mütterlich und mitfühlend beschrieben.
Über den Bundesvorsitz dachte sie nach eigenen Worten schon einmal nach, als Claudia Roth 2013 abtrat - dann kam aber Rot-Grün in Niedersachsen, wo Piel Landtags-Fraktionschefin ist. Piel bewirbt sich mit Regierungserfahrung, aber auch mit einer Niederlage im Gepäck: Die Grünen flogen in Hannover vergangenen Herbst aus der Regierung und verloren kräftig Stimmen.
Die 52-Jährige ist die Kandidatin des linken Parteiflügels. In ihrer Bewerbung steht: „Wenn es um Gerechtigkeit geht, geht es immer auch um Umverteilung“ - eine Art linkes Signalwort. Sie ist selbst in einer Sozialwohnung aufgewachsen, weil ihr sozialdemokratischer Vater das eine gute Idee fand, wie sie sagt.
„Die Basis mitzunehmen ist wichtiger als die Flügelfrage“, sagt Piel, schließt sich aber nicht der Forderung nach „Überwindung“ der Parteiflügel an. Wie die scheidende Parteichefin Simone Peter, mit der Piel befreundet ist, setzt sie Schwerpunkte auf Flüchtlingshilfe und Menschenrechte.