Meinung Baerbock und Habeck: Grüne wagen den Neustart
Der personelle Neuanfang an der Parteispitze ist den Grünen gelungen. Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck wurde ein Führungsduo gewählt, das die Partei auch jenseits grün-interner Wahrnehmung voranbringen kann.
Es ist der erste wirkliche Lichtblick für die Partei, nachdem ihre Zuversicht, im Bund wieder mitregieren zu können, durch das Scheitern der Jamaika-Sondierungen in tiefe Enttäuschung umgeschlagen war. Von ihrem Erfolgserlebnis in Hannover wird die Partei allerdings auch lange zehren müssen. Jetzt kommt eine Durststrecke.
Und das ist das Problem. Gleich sieben Parteien gibt es nun im Bundestag. Die Grünen sind die kleinste Oppositionskraft, eingezwängt zwischen AfD, FDP und Linken. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, dass die Grünen Gefahr laufen, kaum mehr wahrgenommen zu werden. Die schrillen Ansagen der Linken können sie genauso wenig übertönen wie die Provokationen der Rechtspopulisten. Immerhin regieren die Grünen derzeit in neun von 16 Bundesländern mit. Aber auch hier ist die Lage nicht komfortabel. 2017 gingen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen verloren. In diesem Jahr wird in Bayern gewählt. Dort können die Grünen keinen Blumentopf gewinnen. Sie können aber wieder einen verlieren, nämlich im schwarz-grünen Hessen, wo ebenfalls ein Urnengang ansteht. Auch 2019 sieht es für die Partei wenig rosig aus. Dann gehen die Bürger in gleich drei ostdeutschen Bundesländern zur Wahl. Und im Osten haben die Grünen traditionell einen schweren Stand. Spätestens dann wird sich zeigen, ob die Brandenburgerin Annalena Baerbock das grüne Vertrauen rechtfertigt.
Und Robert Habeck? Auf dem vielleicht größten grünen Politik-Talent seit Joschka Fischer lasten noch weitaus größere Erwartungen. Erwartungen, die auch schnell in Ernüchterung umschlagen können. Siehe Martin Schulz. Habeck immerhin zeichnet sich durch einen erfrischend anderen Politikstil aus. Der Norddeutsche hält an den alten Öko-Idealen fest, versucht aber, sie in eine neue Erzählung über Zusammenhalt und Gerechtigkeit einzubetten. Mit Habeck könnte es gelingen, auch Menschen über das grüne Wähler-Milieu hinaus politisch anzusprechen. Er hat das Zeug, die grüne Durststrecke mit Leben zu füllen. Vorausgesetzt, die Partei lässt ihn machen — der linke Flügel ist ja nicht verschwunden, nur weil jetzt zwei Realos an der Spitze der Grünen stehen.