Meinung Ich schreibe, also bin ich
Im Schönschreiben bin ich in der Grundschule nie über ein „Befriedigend“ hinausgekommen. Mein heutiges Journalisten-Gekrakel würde gewiss nur noch mit einem „Mangelhaft“ abgespeist. Der kostbare Füller bleibt für gewöhnlich in der Schublade und muss im Alltag dem praktischeren Kuli weichen.
Vielleicht gerade deshalb trage ich eine große Ehrfurcht vor den charaktervollen Handschriften der Generationen unserer Eltern und Großeltern in mir.
Wenn wir davon sprechen, „eine persönliche Handschrift“ zu erkennen, ist das in der Regel die Würdigung von etwas Unverwechselbarem. Lag früher ein Zettel auf dem Küchentisch, brauchte ich kein Profilbild und keine E-Mail-Signatur, um zu wissen, ob mein Vater, meine Mutter oder meine Geschwister geschrieben hatten.
An den Grundschulen mögen sie über Druckschrift, Grundschrift, vereinfachte Ausgangsschrift und Schreibschrift streiten. Aber Handschrift ist mehr als eine akademische Bildungsfrage. Sie ist ein bewahrens- und schützenswertes Kulturgut — und in ihrer schönsten Ausprägung auch zweckfreie Kunst. In ihr verborgen liegt die Erinnerung an Briefe, Tagebücher und die jahrhundertealte Mönchstradition der geduldigen Abschriften.
Handgeschriebenes als individuelles Handwerk des Denkens ist der formvollendete Protest gegen die seelenlose Massenware der E-Mail-Rundbriefe. Eine Gesellschaft, die ihre Liebesbeziehungen nur noch über WhatsApp anbahnt und beendet, hat sich endgültig an das Praktische verloren. Und eine Sprache, die sich allein auf die Autokorrektur verlässt, verkommt zum Verbalmüll.
Handschrift macht Mühe — und glücklich. Weil vor dem Schreiben der Gedanke steht, das Träumen, das Ringen um die rechte Formulierung, die nicht einfach wieder gelöscht werden kann. Im besten Fall erkenne ich am Ende in beidem, der Form und dem Inhalt, meine persönliche Handschrift — also mich.