Analyse Links, Realo, egal? Grüne auf neuen Wegen
Hannover (dpa) - Robert Habeck und Annalena Baerbock fallen sich in die Arme. Sie strahlen. Die neue Doppelspitze der Grünen hat gerade ein bisschen Parteigeschichte geschrieben - und das, bevor die beiden ihre Büros in der Berliner Parteizentrale bezogen haben.
Dass der 48-Jährige aus Schleswig-Holstein und die 37-Jährige Wahl-Brandenburgerin gemeinsam an die Spitze der Grünen rücken, wäre vor ein paar Jahren - oder Monaten? - nur schwer vorstellbar gewesen. Nicht, weil sie nicht geeignet wären. Sie gehören aber demselben Parteiflügel an. Und da sind die Grünen speziell - oder waren es.
Dass beide geeignet sind für den Job, daran dürfte nach dem Parteitag in Hannover erst mal niemand zweifeln. Baerbock begann ihre Bewerbungsrede mit der Anmerkung, dass hier nicht die Frau an Habecks Seite gewählt werde, und erntete tosenden Applaus.
Energisch, wenn auch spürbar nervös sprach sie zu grünen Herzensthemen, von sozialer Gerechtigkeit über Hilfe für Flüchtlinge bis zum Klimaschutz. „Wir verändern nicht nur Paragrafen, sondern wir verändern das Leben von Menschen in diesem Land!“ Das kam an, Baerbock musste oft gegen Applaus anschreien. Gegenkandidatin Anja Piel vom linken Flügel hatte anschließend mit ihrer ruhigeren Art kaum eine Chance, kämpfte obendrein noch mit ihrer Stimme.
Habecks etwas verkopfte Rede über links und liberal und was das 2018 heißt hätte in anderen Parteien vielleicht für ratlose Gesichter gesorgt. Die Grünen sind sowas gewohnt. Außerdem ist der Landes-Umweltminister aus dem Norden schon seit Jahren erst heimlicher, dann ziemlich gehypter Hoffnungsträger der Partei, der nicht nur bio und cool, sondern auch die beiden Parteiflügel und die komplette Gesellschaft versöhnen will.
Der Wirbel um Habeck wurde zuletzt so groß, dass er keine Interviews mehr gab, um gegenzusteuern. Was nicht klappte. Die 81 Prozent bei seiner Wahl am Samstag sind ihm vielleicht lieber als 90 Prozent oder noch mehr. SPD-Chef Martin Schulz lässt grüßen - nur nicht übermäßig Fallhöhe aufbauen. Er gehe die Aufgabe mit einer „gewissen Demut“ an, sagt er.
Habeck hätte wohl auch noch ein paar Stimmen mehr bekommen, wenn er seiner Partei nicht schon vorher so viel zugemutet hätte. Ohne achtmonatige Übergangsfrist werde er nicht antreten, erklärte er am Freitag offen. Solange darf er nun doppelt im Amt sein, als Parteichef und als Landesminister, dafür mussten die Grünen ihre Satzung ändern. Ein Vertrauensvorschuss, sagen die einen. Längst überfällig, sagen andere, die die berühmte „Trennung von Amt und Mandat“, noch so eine Heilige Kuh der Partei, am liebsten gleich mitabschaffen würden. Eigentlich eine Frechheit, sagt eine dritte Gruppe.
Aber weil sogar Jürgen Trittin, der immer noch strippenziehende Alt-Linke, Habeck die acht Monate zugestehen wollte, lief die Abstimmung am späten Freitagabend reibungslos. Als das 77-Prozent-Ergebnis für die Satzungsänderung verkündet wurde, trank Trittin schon gelassen ein Bier.
Nun also Baerbock und Habeck. Sie sind jünger, hipper und vor allem einfach anders als Cem Özdemir und Simone Peter, die sie nun ablösen. Neue Gesichter haben die Grünen nötig. Der Traum vom Mitregieren zerplatze mit dem Jamaika-Aus, ihnen stehen Jahre in der Opposition als kleinste von sechs Fraktionen im Bundestag bevor. So energiegeladen, wie die neuen Parteichefs am Samstag auftraten, traut man ihnen zu, trotzdem Aufmerksamkeit auf die Grünen zu lenken.
Und was heißt es für die Partei, dass nun zwei Realos an der Spitze stehen? Nicht zum ersten Mal übrigens, Fritz Kuhn und Renate Künast waren auch schon mal kurz zusammen Parteichefs, und die waren „Hardcore-Realos“, wie Trittin erklärt. Auch damals sei die Partei nicht nach rechts gerückt. „Das ist nun mal eine ökologische Partei der linken Mitte.“ Für diesen Konsens stehe auch die neue Spitze.