Ergreifende Trauer zehn Jahre nach „9/11“
New York (dpa) - Es war ein Tag der Trauer, nicht der Wut. Ein Tag der leisen, nicht der kämpferischen Töne. Zehn Jahre nach dem 11. September 2001 hat New York, haben die USA und viele Millionen Menschen in der ganzen Welt um die fast 3000 Opfer der islamistischen Anschläge getrauert.
Es war ein Tag der Erinnerung und des Gedenkens, aber auch des Optimismus und des Blicks in die Zukunft. „Du fehlst uns“, waren die häufigsten Worte des Tages. Sie fielen, als die Namen der 2983 Opfer verlesen wurden. Nur eine Sekunde dauert es, einen Namen vorzulesen. Aber wegen der vielen Opfer dauerte es Stunden. Es waren Angehörige, die immer drei vier Namen vorlasen. Einer der ersten war ein Deutscher: Heinrich Ackermann. Der Westfale arbeitete fast ganz oben, im 101. der 110 Stockwerke, als das Flugzeug das Gebäude traf. Er wurde 38 Jahre alt.
„Er war mein Bruder“ oder „Sie war meine Mutter“ fügten einige Angehörige mit tränenerstickter Stimme hinzu. Und oft konnten die Mütter und Väter oder Söhne und Töchter kaum sprechen: „Wir vermissen Dich. Wir lieben Dich. Es geht uns gut und unsere Kinder sind großartig, aber Du fehlst uns so.“
Viele Angehörige gehen ganz offen mit ihrer Trauer um. Sie tragen Bilder ihrer Verstorbenen. Oder T-Shirts mit den Namen. Ganze Familien sind daran zu erkennen. „Kathy Smith. We will never forget you“ steht da, „Wir werden Dich niemals vergessen“. Oder „Joyce Ann Carpeneto. Forever in our Hearts“, „Du wirst immer in unseren Herzen sein“.
US-Präsident Barack Obama war mit seiner Frau Michelle da und sein Vorgänger George W. Bush mit seiner Frau Laura. Reden hielten sie nicht. Obama verlas einen Psalm, Bush einen Brief, den einer seiner Vorgänger, Abraham Lincoln, 1864 an eine Mutter geschrieben hatte. Die Frau hatte fünf Söhne im Bürgerkrieg verloren. Von unermesslicher Trauer ist da die Rede und vom Stolz, für die höchste Sache das höchste Opfer gebracht zu haben.
Aber es sind die Toten, die an diesem Tag ein Gesicht bekommen. Ihre Angehörigen lesen ihre Namen vor, tragen ihre Fotos in ihren Händen. „Wir kommen her, um ihr Leben zu feiern“, sagt Tania über ihre Schwester Marlyn Garcia. „Sie wurde nur 21 Jahre alt.“ Sie denke jeden Tag an Marlyn. „Es wird nicht leichter.“ Marlyn Garcia arbeitete bei Marsh & McLennan im Nordturm des World Trade Centers. Alleine bei der Finanzfirma, deren Büros genau in den Stockwerken lagen, in die das Flugzeug raste, starben 295 Menschen.
Auf einem Bild ist Danielle Kousoulis zu sehen. „We miss you. We love you“. Danielle arbeitete beim Anleihehändler Cantor Fitzgerald im Nordturm. Niemand ihrer Kollegen, der an diesem Tag im Büro war, überlebte. Von rund 1000 New Yorker Beschäftigten verloren 658 ihr Leben. Danielle hätte zwei Wochen später ihren 30. Geburtstag gefeiert.
Auch Kevin James Murphy arbeitete bei Marsh & McLennan im Nordturm. Er war gerade 40 Jahre alt geworden, als das Unfassbare passierte. Wahrscheinlich, so sagt seine Schwester Mary Beth Dougherty, habe er wie jeden Morgen an seinem Schreibtisch gesessen, habe seine Zeitung gelesen, seinen Kaffee getrunken und einen Keks gegessen, als das Flugzeug einschlug. „Die Kollegen sagten, er sei immer der erste im Büro gewesen.“
„Es war nicht schwer, hier herzukommen“, sagt seine Schwester, „es wird aber schwer werden, diesen Ort wieder zu verlassen.“ Wie so vielen Angehörigen blieb ihr nicht mehr als die Erinnerung. Ein Grab, einen Ort zum Trauern gibt es nicht. Rückhalt, so sagt Mary Beth, habe ihr die Familie gegeben. „Wir sind mit 25 Leuten angereist“, erzählt sie. „Und wir haben für jeden einen Keks mitgebracht.“