Feature: Der neue Alltag auf der Krim
Simferopol (dpa) - Fast wie im Auge eines Hurrikans wirkt die Stimmung in Simferopol zu Wochenbeginn. Banken und Mobilfunkläden haben geöffnet, reger Verkehr herrscht in der Hauptstadt der Autonomen Republik Krim.
Nach außen ruhig und unaufgeregt gehen viele Menschen bei frühlingshaftem Wetter ihren Geschäften nach. Sie zeigen sich unbeeindruckt von den Bewaffneten, die in Uniformen ohne Hoheitszeichen auf ihren Straßen patrouillieren.
Viele begrüßen sogar ausdrücklich deren Anwesenheit. „Wir sind wirklich froh über diese Inbesitznahme“, meint etwa der Rentner Nikolai, der an einem Stock durchs etwas heruntergekommene Zentrum humpelt. Für viele Einwohner und Schaulustige auf der Halbinsel sind die Uniformierten die neue Touristenattraktion.
Es gibt Schnappschüsse für das Familienalbum oder soziale Netzwerke. „Mein persönlicher Sicherheitsmann“, schreibt irina_danilevskaya scherzhaft zu einem Foto beim Onlinedienst Instagram, das sie bei Dunkelheit mit einem Maskierten zeigt.
Weltweit ist hingegen die Empörung groß über die Truppen, die plötzlich Flughäfen und Verwaltungsgebäude unter ihre Kontrolle gebracht haben oder Kasernen ukrainischer Einheiten umstellen. In Perewalnoje rund 30 Kilometer südlich von Simferopol blockiert eine vermummte Truppe in Kompaniestärke mit automatischen Waffen eine ukrainische Kaserne.
Ein russischer Geländekampfwagen vom Typ „Tigr“ dreht seine Runden. Mit etwa 30 Fahrzeugen ist die Einheit am Vortag hier aufgetaucht. Nur wenige Ecken weiter spielen Kinder. Surreal wirkt die Szene auf die aus aller Welt angereisten Beobachter vor der verfallenden Garnison.
Offiziell handelt es sich bei den Bewaffneten um „Selbstverteidigungskräfte“ der prorussischen Regionalregierung. Lediglich die Ausrüstung steuere Russland bei. Aber kaum jemand zweifelt daran, dass es in Wahrheit russische Soldaten sind.
In Simferopol nennt der Rentner Nikolai die Männer „Blauhelme“. „Falls sie nicht hier wären, würde der Rechte Sektor seine Leute aus Kiew herschicken“, sagt der ältere Herr und fuchtelt mit seinem Stock. Der Rechte Sektor - die gewaltbereite Kerntruppe des Umsturzes in Kiew - ist das Feindbild, das prorussische Politiker und Medien an die Wand malen.
„Faschisten“ und „Kriminelle“ hätten die Macht in der 800 Kilometer entfernten ukrainischen Hauptstadt übernommen, sagen viele. Es ist genau die Wortwahl, die Kremlchef Wladimir Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow nutzen, wenn sie den international heftig kritisierten Einsatz auf der Krim verteidigen.
Gegen jene „Faschisten“ richten sich auch die Schlachtrufe junger Männer, die mit Russland-Fahnen durch die Stadt ziehen. Auf der Krim leben ohnehin mehrheitlich ethnische Russen. Jetzt zeigen sie ihre neue Macht auf den Straßen von Simferopol. Kaum zu übersehen sind auch bei vielen Passanten die orange-schwarzen Schleifen an Jacken und Taschen - das Georgsband erinnert an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg und ist ein Symbol des russischen Patriotismus.
„So viele von ihnen stammen aus sowjetischen Militärfamilien, das hat ihre Sicht geprägt“, meint Valentin Tambowzew, ein ethnischer Ukrainer, der sich als Anführer einer örtlichen Kosakengruppe vorstellt. Bis heute ist die russische Schwarzmeerflotte auf der strategisch wichtigen Krim stationiert. Tambowzew wirft Russland vor: „Sie wollen die Annektierung der Krim von 1783 durch Katharina die Große wiederholen.“
So wie Tambowzew denken viele der auf der Krim lebenden Ukrainer, die knapp ein Viertel der rund zwei Millionen Einwohner stellen. Noch stärker ist die Furcht vor dem russischen Einfluss unter den Tataren.
Das muslimisch geprägte Turkvolk macht etwa 12 Prozent der Bevölkerung aus. Sie waren unter Sowjetdiktator Stalin im Zweiten Weltkrieg wegen angeblicher Kollaboration mit Nazi-Deutschland vertrieben worden und durften erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in ihre Heimat zurückkehren. Das Zusammenleben mit den russischen Nachbarn fällt ihnen, gelinde gesagt, nicht einfach.
Zu finden sind die Tataren in der Altstadt von Simferopol, wo sich kleine Häuser in enge Gassen lehnen. Im Hof der frisch renovierten Hauptmoschee steht Aidar Adschimambetow, der zum wichtigsten Gremium der Krimtararen gehört. Mit „mittelalterlichen Methoden“ schaffe Russland Fakten, sagt der junge Mann besorgt. Sauer aber ist er auch auf die EU. „Viel zu schwach“ habe der Staatenbund in der Ukraine-Krise gehandelt, meint Adschimambetow.