Fragen und Antworten: Blatters Grund und Blatters Sorgen
Zürich (dpa) - Die sensationelle Nachricht über den Rückzug von Langzeit-Herrscher Joseph Blatter hat die Fußball-Welt in große Aufregung versetzt. Die FIFA hat plötzlich die Chance zu einer gravierenden Neuordnung.
Doch der Weg dorthin dürfte schwierig sein. Für eine Neuvergabe der umstrittenen Weltmeisterschaften in Russland und Katar gibt es noch keine rechtliche Grundlage. So sehr dies in Europa auch von der Politik gewünscht wird.
Warum verkündete Joseph Blatter plötzlich doch seinen Rückzug?
Die Motive des FIFA-Dauerregenten sind weiterhin nicht zweifelsfrei geklärt. Blatter selbst spricht von der „Liebe zur FIFA“, seine Tochter Corinne meint, ihr Vater wolle die Familie vor weiteren Angriffen schützen. Doch über allem schweben weiter die Berichte aus Amerika, das FBI sei auch gegen Blatter aktiv oder aktiv gewesen. Solche Ermittlungen der US-Polizei wären ein harter Schlag für den Schweizer und würden - sofern offiziell bestätigt - auch das sofortige Ende seiner FIFA-Herrschaft bedeuten. Der Plan, die FIFA noch bis zum Sonderkongress zu führen, wäre hinfällig.
Was ist der Stand der Ermittlungen in der Causa FIFA?
Auch Interpol ist mittlerweile involviert und leistet der US-Justiz Amtshilfe im Auslieferungsverfahren gegen die früheren Top-Männer der FIFA, Jack Warner und Nicolás Leoz. Substanzielle neue Vorwürfe wurden aber am Tag nach der historischen Blatter-Pk noch nicht bekannt. Im Laufe des Tages wurde aus Amerika noch die Anklageschrift gegen Kronzeuge Chuck Blazer erwartet.
Im zweiten Ermittlungsverfahren, dem der Schweizer Justiz zur WM-Vergaben 2018 und 2022, laufen offenbar die Auswertungen der Zeugenbefragungen führender Wahlmänner von FIFA-Vize Issa Hayatou bis Spaniens Spitzenmann Angel Maria Villar Llona. Auch Franz Beckenbauer steht als ehemaliges Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees auf der Zeugenliste der Schweizer Ermittler.
Welche Auswirkungen hat der Blatter-Rücktritt für die WM-Gastgeber Russland und Katar?
Von vielen Seiten wird nun eine Neuvergabe der umstrittenen WM-Entscheidung gefordert. England und Deutschland werden als Ersatzgastgeber reflexartig ins Spiel gebracht. Dies ist politisch motiviert. Eine neue rechtliche Grundlage dafür gibt es aber nicht. Die WM-Verträge der FIFA mit den Ausrichtern haben nichts mit der Person des Präsidenten zu tun. Ändern könnte sich die Situation, wenn die Schweizer Justiz belastendes Material findet, gegen Blatter, seinen Generalsekretär Jérome Valcke oder einen Wahlmann von 2010. Der nächste FIFA-Präsident nimmt die Altlast Russland und Katar aber wohl zumindest mit in seine erste Amtszeit.
Was passiert jetzt bei der FIFA?
Blatter will bis zu seinem Abschied noch manche Reform anstoßen, die er bislang nicht forcierte - inklusive einer Amtszeitbeschränkung für seinen Nachfolger und einer Neuordnung des Exekutivkomitees. Böse Zungen könnten meinen: Er konnte das Spiel nicht gewinnen, aber seinen Nachfolgern symbolisch den Rasen kaputt treten.
Bis zum außerordentlichen Wahlkongress wird noch einige Zeit vergehen, auch wenn sich DFB-Chef Niersbach ein schnelleres Prozedere wünscht. Das Exekutivkomitee - mit Niersbach - tagt offiziell erst wieder am 24. und 25. September. Das Gremium muss den Sonderkongress einberufen. Dann sind laut FIFA-Statuten noch vier Monate zur Vorbereitung notwendig.
Blatter will die Geschäfte vorläufig weiter führen. Einige spannende Termine sind dabei - wie die geplante Reise zum Finale der Frauen-WM am 5. Juli in Vancouver - einen Katzensprung von US-Territorium entfernt. Ein letztes Heimspiel hat der 79-Jährige aber auch. Sein Freund Wladimir Putin empfängt die FIFA-Familie am 25. Juli zur WM-Qualifikationsauslosung in St. Petersburg.
Wer wird Nachfolger von Joseph Blatter?
Die Spekulationen laufen längst. UEFA-Chef Michel Platini will sich wieder einmal nicht frühzeitig festlegen, muss aber in die Bütt, will er nicht wieder als Feigling dastehen. Der geschlagene Prinz Ali bin al-Hussein will es auch nochmal versuchen, kann dann aber wohl nicht mehr mit europäischer Wahlhilfe rechnen. Heißer Kandidat ist der Multifunktionär Scheich Ahmad al Fahad al Sabah aus Kuwait - ein gewiefter Machtmensch und Bündnispartner von IOC-Chef Thomas Bach.
Mehr oder weniger ernstzunehmende Bewerbungen kommen aber aus allen Ecken der Welt, von Ex-Star Zico bis zum Südkoreaner Chung Mong Joon, der allerdings wie Kaiser Franz Beckenbauer an der WM-Wahl 2010 beteiligt war. In Venezuela wünscht sich der Staatschef seinen Kumpel Diego Maradona als kommenden FIFA-Herrscher. Bei den englischen Buchmachern wird aber auch ein Außenseiterkandidat mit der Quote 100:1 gehandelt: Joseph Blatter.
Welche Rolle spielt der deutsche Fußball?
Eine besonders klare Linie gab DFB-Präsident Wolfgang Niersbach bislang nicht ab. Zunächst ließ er sich als Platini-Vertrauter für die Boykott-Drohungen einspannen. Diese waren nicht haltbar. Eine Rede gegen Blatter auf dem Kongress gab es mit Hinweis auf die dort festgeschriebene Tagesordnung nicht. Am Tag nach der Wahl zeigte sich Niersbach ungewöhnlich milde, fühlte sich im Exekutivkomitee unter Blatter „freundlich aufgenommen“.
Ein Rückzug aus dem Gremium, wie vom Engländer David Gill zunächst angekündigt, kam nicht sofort infrage. Andere deutsche Funktionäre rieten ab. Niersbach wollte erst die generelle UEFA-Linie abklopfen. Welche Rolle der DFB als größter Fußball-Fachverband der Welt im Neuordnungsprozess spielen kann und spielen will, bleibt abzuwarten. Niersbach selbst steht für höhere Ämter nicht zur Verfügung, betonte er am Mittwoch in Berlin.