Grün-Rot in Stuttgart, Rot-Grün in Mainz
Stuttgart/Mainz (dpa) - Zeitenwende nach fast sechs Jahrzehnten CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg: Die Grünen können mit Winfried Kretschmann den ersten Ministerpräsidenten einer grün-roten Landesregierung stellen - CDU und FDP müssen die Macht im Südwesten laut vorläufigem amtlichem Endergebnis abgeben.
In Rheinland-Pfalz wird es nach fünf Jahren SPD-Alleinregierung zum ersten Mal eine rot-grüne Koalition geben. Die CDU legt hier leicht zu, die FDP fliegt aus dem Mainzer Landtag. Die Sozialdemokraten verzeichnen in beiden Ländern historisch schlechte Ergebnisse.
Die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen vom Sonntag sind ein Debakel auch für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP), die den Wahlkampf mit ihrer Wende in der Atompolitik, aber auch mit der deutschen Libyen-Politik zuletzt geprägt hatten. Vor allem in der FDP werden personelle Konsequenzen jetzt nicht mehr ausgeschlossen - auch wenn Westerwelle einen Rücktritt als FDP-Vorsitzender und Außenminister noch vor Schließung der Wahllokale ausschloss.
Der Landtagswahlkampf wurde besonders in Baden-Württemberg, einem Land mit mehreren Atommeilern, von der Reaktorkatastrophe in Japan überschattet. Die Diskussion in Deutschland gab den Grünen Auftrieb, CDU und FDP wurden wegen ihrer Atom-Wende scharf angegriffen. In Baden-Württemberg wurde die CDU von Ministerpräsident Stefan Mappus zwar wieder stärkste Kraft, stürzte aber auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1952. Die FDP fuhr in ihrem Stammland sogar das schwächste Ergebnis überhaupt ein.
Das Ein-Stimmen-Wahlrecht des Bundeslandes, das tendenziell die stärkste Partei - also die CDU - begünstigt, hatte bis zum Schluss für eine Zitterpartie gesorgt. Grüne und SPD lagen prozentual zusammen immer klar vor der schwarz-gelben Stuttgarter Koalition, nach Sitzen im Landtag allerdings nur knapp. Am Ende hatte Grün-Rot mit 71 Sitzen vier Mandate Vorsprung vor Schwarz-Gelb (67).
Die SPD rutschte mit Spitzenkandidat Nils Schmid auf ihr schwächstes Ergebnis in Baden-Württemberg ab, erklärte sich aber dennoch zusammen mit den Grünen zum Wahlsieger. Die Linke verpasste den Sprung in den Stuttgarter Landtag, die FDP schaffte es nur knapp.
Mappus räumte die Niederlage bereits ein, als die Demoskopen noch von einer Zitterpartie sprachen. „Ich trage die Verantwortung, und zwar voll und ganz.“ Seine politische Zukunft ließ er offen. Er werde den Parteigremien am Montagabend einen Vorschlag für die neue personelle Ausrichtung der Partei machen. Grünen-Spitzenkandidat Kretschmann kündigte einen Politikwechsel an: „Jetzt haben wir die historische Wende in diesem Land erreicht.“ SPD-Spitzenkandidat Schmid reklamierte den Wahlsieg für SPD und Grüne: „Wir haben es geschafft. Schwarz-Gelb ist abgewählt.“
Laut vorläufigem amtlichem Endergebnis kommt die CDU in Baden-Württemberg auf 39,0 Prozent und verliert damit gut fünf Punkte im Vergleich zu 2006 (44,2). Die Grünen erzielen 24,2 Prozent (2006: 11,7). Die SPD erreicht 23,1 Prozent (2006: 25,2). Die FDP mit Spitzenkandidat Ulrich Goll halbiert sich auf 5,3 Prozent (2006: 10,7). Die Linke mit ihrem Spitzenduo Marta Aparicio und Roland Hamm liegt bei 2,8 Prozent (2006: 3,1).
Die Sitzverteilung im Stuttgarter Landtag: CDU 60 (69), Grüne 36 (17), SPD 35 (38), FDP 7 (15). Die Wahlbeteiligung stieg von 53,4 auf 66,2 Prozent an. Rund 7,8 Millionen Bürger waren zur Wahl aufgerufen.
In Rheinland-Pfalz wird es künftig Rot-Grün geben. Regierungschef Kurt Beck büßte mit dem schwächsten SPD-Ergebnis seit 52 Jahren seine absolute Mandatsmehrheit ein und bot den erstarkten Grünen eine „faire Partnerschaft“ an. Die CDU konnte mit Spitzenkandidatin Julia Klöckner zwar zulegen, hat aber wegen des Scheiterns der FDP keine Bündnisoption.
Laut vorläufigem amtlichem Endergebnis verliert die seit 2006 allein regierende SPD in Rheinland-Pfalz deutlich und kommt auf 35,7 Prozent (2006: 45,6). Die CDU verbessert sich auf 35,2 Prozent (2006: 32,8). Die Grünen schaffen mit 15,4 Prozent sensationell die Rückkehr ins Parlament (2006: 4,6). Die FDP mit dem Landesvorsitzenden Rainer Brüderle stürzt auf 4,2 Prozent ab (2006: 8,0). Die Linke kommt mit 3,0 Prozent (2006: 2,6) ebenfalls nicht ins Parlament.
Die Sitzverteilung im Mainzer Landtag laut Landeswahlleiter: SPD 42 (53), CDU 41 (38), Grüne 18 (0). Die Wahlbeteiligung lag mit etwa 61,8 Prozent höher als 2006 (58,2), wahlberechtigt waren rund 3,1 Millionen Menschen.
Das FDP-Debakel dürfte auch die Personaldebatte bei den Liberalen neu anheizen. Vor allem Bundestags-Fraktionschefin Birgit Homburger und Wirtschaftsminister Brüderle müssen sich auf starke innerparteiliche Kritik einstellen.
Mit den Landtagswahlen ist nach Ansicht des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel das Schicksal der Atomenergie besiegelt. „Heute ist die endgültige Entscheidung über das Aus für die Atomenergie in Deutschland getroffen worden. Es gibt kein Zurück.“ Die CDU will dennoch am dreimonatigen Atom-Moratorium festhalten: „Es ist uns sehr ernst mit der Entscheidung, die eingeleitet wurde“, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in Berlin. FDP-Chef Westerwelle sah weitreichende Folgen für die künftige Energiepolitik. „Es war eine Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft. Wir haben verstanden.“
Der Stuttgarter Regierungschef Mappus galt als großer Verfechter der Kernkraft, trug Mitte März jedoch die Atom-Kehrtwende von Kanzlerin Merkel mit. Der 44-jährige wäre der erste CDU-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der abgewählt wird. Der 62-jährige Grüne Kretschmann gilt als wertkonservativ und hatte früher für ein schwarz-grünes Bündnis geworben. Doch im erbitterten Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 entfernten sich CDU und Grüne weit voneinander, ebenso im Streit über die Atomenergie.
Im Bundesrat wird das schwarz-gelbe Lager durch die Niederlage von CDU und FDP in Baden-Württemberg weiter geschwächt, SPD und Grüne sind aber trotzdem noch weit entfernt von einer eigenen Mehrheit. Zum Auftakt des Superwahljahres 2011 hatte die CDU den Stadtstaat Hamburg an die SPD verloren, nach der Wahl in Sachsen-Anhalt kann sie die Koalition mit der SPD als Juniorpartner wohl fortsetzen.
In Hessen wurden am Sonntag die Kommunalparlamente gewählt. Dabei ergaben erste Ergebnisse starke Gewinne für die Grünen. In Frankfurt/Main wurde das schwarz-grüne Bündnis im Rathaus nach ersten Auszählungen bestätigt. Wahrscheinlich wird es ein Schuldenverbot in der hessischen Verfassung geben - bei einer Volksabstimmung zeichnete sich am Sonntagabend eine breite Mehrheit dafür ab.