Hintergrund: „Weltstrafgericht“ ermittelt gegen Gaddafi
Den Haag (dpa) - Nach der Libyen-Resolution der Vereinten Nationen vom Samstag muss der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag nun Ermittlungen gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi einleiten.
Chefankläger Luis Moreno-Ocampo und sein Team müssen prüfen, ob der Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und/oder Kriegsverbrechen hinreichend begründet ist. Wenn sich genügend Beweise zusammentragen lassen, ist die Beantragung eines internationalen Haftbefehls gegen Gaddafi der nächste Schritt, bevor schließlich ein Prozess gegen ihn eröffnet werden kann.
Solche Verfahren ziehen sich über etliche Jahre hin. Der wichtigste Präzedenzfall ist die Verfolgung des sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir. Denn wie der Sudan gehört auch Libyen nicht zu den inzwischen 114 Mitgliedstaaten des „Weltstrafgerichts“, dessen internationaler Gründungsvertrag - das Römische Statut - am 1. Juli 2002 in Kraft trat. Dem aus Argentinien stammenden Staatsanwalt Moreno-Ocampo (58) waren deshalb die Hände gebunden, bis der UN-Sicherheitsrat als höchstes politisches Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen wie schon im Fall Al-Baschir auch zu Gaddafi Ermittlungen in Auftrag gab.
Bei Al-Baschir, dem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an der Zivilbevölkerung der sudanesischen Krisenregion Darfur vorgeworfen werden, erreichte der IStGH-Chefankläger im März 2009 die Ausstellung eines internationalen Haftbefehls. Allerdings konnte sich der sudanesische Präsident bislang sogar bei Auslandsreisen einer Festnahme entziehen, weil selbst einige IStGH-Mitgliedstaaten in Afrika nicht zur Vollstreckung bereit waren.
Ob Al-Baschir und Gaddafi jemals festgenommen und an den Gerichtshof ausgeliefert werden, ist also ungewiss. Sie wären dann allerdings nicht die ersten Ex-Staatschefs, die sich vor einem internationalen Gerichtshof in Den Haag verantworten müssen. Gegen den einstigen liberianischen Präsidenten Charles Taylor läuft dort ein Kriegsverbrecher-Prozess vor dem Sondertribunal für Sierra Leone. Der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic musste sich wegen des Völkermords in Bosnien-Herzegowina vor dem Sondertribunal für das frühere Jugoslawien verantworten. Er starb 2006 im UN-Untersuchungsgefängnis im Haager Stadtteil Scheveningen.