Immer mehr Kritik an V-Leuten in Neonazi-Szene

Berlin (dpa) - Der Einsatz von Verbindungsleuten des Verfassungsschutzes in der Neonazi-Szene wird immer mehr infrage gestellt.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte im Deutschlandfunk, er könne nicht dabei bleiben, dass an der Spitze dieser Neonazi-Organisationen „vom Staat bezahlte Informanten sind.“

Oppermann ist der Vorsitzende des für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Bundestagsgremiums, das am Vormittag in geheimer Sitzung über die Mordserie von Neonazis und die Rolle der Behörden beriet. Auf das Konto der mutmaßlichen Zwickauer Terrorzelle sollen Morde an acht Türken und einem Griechen sowie die Ermordung einer Polizistin in Heilbronn gehen.

Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte beim CDU-Parteitag in Leipzig, wenn der Einsatz der V-Leute kaum Erfolg habe und zugleich ein NPD-Verbotsverfahren durch ihren Einsatz scheitern könne, „müssen wir dieses Instrument ernsthaft auf den Prüfstand stellen“. „Ein Instrument, das uns nichts bringt, das brauchen wir auch nicht.“

Als Konsequenz aus der Neonazi-Mordserie an Ausländern will die CDU die Chancen für ein neues NPD-Verbotsverfahren ausloten lassen. Einen entsprechenden Antrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel beschloss der CDU-Bundesparteitag am Dienstag in Leipzig einstimmig.

Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier fordert ein neues Verfahren für ein Verbot der rechtsextremen NPD. „Wir tun gut daran, dass wir jetzt dran gehen und ein NPD-Verbot noch mal prüfen“, sagte Steinmeier am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Es hat sich gezeigt: Es ist notwendig.“ Bei den Ereignissen um die Thüringer Neonazi-Gruppe habe der rechtsextreme Nationalismus und Fremdenhass „seine widerliche Fratze“ offenbart.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sieht ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren allerdings skeptisch. Ein solches Verfahren sei nur möglich, wenn alle V-Leute abgeschaltet würden, sagte der CSU-Politiker am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, weil wir dann über viele Jahre keinen Einblick in den inneren Betrieb der Partei haben.“

Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bleibt in der Frage zurückhaltend: „Bevor wir über ein neues NPD-Verbotsverfahren nachdenken, muss klar sein, dass es nicht scheitert“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“ (Dienstag). Auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele teilte die Bedenken. „Ich fürchte, wenn die NPD verboten wird, werden noch mehr Leute in den Untergrund gedrückt und es ist nicht auszuschließen, dass es dann zu noch mehr Gewalttaten kommt“, sagte das Mitglied des für die Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums dem Radiosender HR-Info.

Nach dem Willen der Grünen sollen sich der Innenausschuss und der Rechtsausschuss des Bundestags bereits am Mittwoch in einer gemeinsamen Sondersitzung mit den Vorgängen um die rechtsextremistische Bande befassen. Zu der Sitzung sollen die zuständigen Bundesminister sowie die Präsidenten des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz eingeladen werden.

Besonders umstritten ist die Rolle eines hessischen Verfassungsschützers, der angeblich bei einem Mord in Kassel 2006 anwesend war. Dazu sagte Oppermann, wenn tatsächlich ein Verfassungsschützer zum Zeitpunkt eines Mordes am Tatort war, sei dies ein politischer Skandal, der die Fundamente des Staates erschüttert. „Es ist eigentlich undenkbar, dass der Verfassungsschutz in irgendeiner Weise an rechtsextremen Aktionen mitwirkt.“

Nach bisherigen offiziellen Angaben hatte der Verfassungsschützer eine Minute vor dem tödlichen Schuss den Tatort verlassen. Diese Annahme könne nun nicht mehr aufrechterhalten werden, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Dienstag) unter Berufung auf Sicherheitskreise in Wiesbaden. Bei der Tat von Kassel war ein 21-jähriger Türke erschossen worden. Der hessische Verfassungsschutz schweigt sich zur Rolle eines seiner Beamten weiter aus. Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung soll der Mann sogar an insgesamt sechs Tatorten gesehen worden sein.