Interview: „Es gab ein verzerrtes Preissignal“
Berlin (dpa) - Ein Milliardenüberschuss erspart den Mitgliedern gesetzlicher Krankenkassen im neuen Jahr weitgehend Zusatzbeiträge. Das muss nicht so blieben, wie der Präsident des Bundesversicherungsamts, Maximilian Gaßner, der Nachrichtenagentur dpa sagte.
Ist das jüngste Plus von 3,9 Milliarden Euro bei der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein vorübergehendes Hoch oder entspannt es die Kassenfinanzen nachhaltig?
Gaßner: „Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich hier um das Ergebnis für das 1. bis 3. Quartal 2011 handelt. Weil die Ausgaben im 4. Quartal immer etwas höher als in den Quartalen davor ausfallen, rechne ich mit einem geringeren Jahresüberschuss 2011. An der insgesamt positiven Einschätzung ändert das jedoch nichts. Die Verteilung über die Krankenkassen ist allerdings höchst unterschiedlich, finanzielle Probleme bei einzelnen Krankenkassen können nicht ausgeschlossen werden. Im Jahr 2012 werden nach den Prognosen des GKV-Schätzerkreises die Zuweisungen des Gesundheitsfonds im Durchschnitt ausreichen, um die voraussichtlichen Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu decken. Ich sehe momentan keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln.“
Bundesbank und Bundesagentur für Arbeit erwarten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf drei Millionen im kommenden Jahr - wie groß sind die konjunkturbedingten Risiken für die GKV?
Gaßner: „Konjunkturbedingte Einnahmerisiken trägt allein der Gesundheitsfonds, der infolge der guten konjunkturellen Entwicklung in diesem und im letzten Jahr auf eine ausreichend ausgestattete Liquiditätsreserve zurückgreifen kann. Die Krankenkassen erhalten aus dem Gesundheitsfonds für das Jahr 2012 Zuweisungen in Höhe von 185,4 Milliarden Euro, das sind rund 6,5 Milliarden mehr als im Jahr 2011. Diese Summe ist garantiert, das heißt auch bei einem größeren Konjunktureinbruch bleibt die finanzielle Lage der Kassen durch das Fondssystem stabil.“
Zusatzbeiträge können die Kassen in eine Abwärtsspirale treiben. Nun wollen die betroffenen Kassen den Aufschlag weitgehend wieder abschaffen - ist das Instrument tot?
Gaßner: „Man muss feststellen, dass das Instrument der Zusatzbeiträge bei den Krankenkassen zu weit größeren Mitgliederabwanderungen geführt hat, als das wettbewerblich eigentlich gerechtfertigt war. Das liegt daran, dass der Zusatzbeitrag die ihm zugedachte Funktion als objektives Preissignal im Wettbewerb bisher nicht erfüllen konnte. Er gab ein verzerrtes Preissignal an die Versicherten, das bei diesen zu einer wettbewerblichen Überreaktion führte. Vor Einführung des Gesundheitsfonds waren die finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen Beitragssätze wesentlich gravierender als heute bei einem Zusatzbeitrag von acht Euro. Momentan ist es fast allen Krankenkassen aufgrund der positiven Finanzentwicklung möglich, ihre Haushalte ohne Zusatzbeiträge zu kalkulieren. Ob das über das Jahr 2012 hinaus anhält, lässt sich derzeit jedoch nicht sagen.“
Noch immer gibt es 153 Krankenkassen - mit welcher Dynamik dürfte der Konzentrationsprozess weitergehen?
Gaßner: „Ich gehe davon aus, dass es auch künftig zu weiteren Vereinigungen von Krankenkassen kommen wird. Daran würde im übrigen auch eine Fusionskontrolle des Bundeskartellamtes nichts ändern, denn diese würde erst bei einer Verdichtung auf circa fünf bis zehn Kassen greifen. Die Anzahl der kleinen oder kleinsten Kassen ist wettbewerblich irrelevant. Man muss die gegenwärtige Zahl der Krankenkassen immer etwas relativieren, weil sich bereits heute rund 90 Prozent aller Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung auf etwa 30 Krankenkassen verteilen. Allein die drei größten Kassen Barmer GEK, Techniker Krankenkasse und DAK versorgen rund ein Drittel aller Versicherten.“