Jamaika geplatzt Katapultiert Lindner die FDP ins Aus?

Berlin (dpa) - Kurz vor Mitternacht ließ der FDP-Vorsitzende Christian Lindner die Bombe platzen. Nach vier Wochen Sondierungen wollte er nicht mehr.

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Sein Fraktionssprecher hatte die Mitteilung schon vorbereitet: „Die Freien Demokraten ziehen sich aus den Sondierungen zurück. Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung des Landes und vor allem keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten.“

Als die Union davon Wind bekam, suchte sie offenbar nochmals das Gespräch mit der FDP. Doch da ging bereits nichts mehr. Um 23.48 Uhr am Sonntag kam das Aus. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sprach via Twitter von einer „gut vorbereitete Spontanität“. „Anständig wär es gewesen, wenn alle Parteivorsitzenden gemeinsam den Abbruch hätten verkünden können“, schrieb sie.

Doch zu so viel Vertrauen reichte es wohl zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Lindner trat allein mit seiner Mannschaft vor die Presse. „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, erklärte er - also nichts mit einem Posten als Vizekanzler und Finanzminister für den 38-Jährigen.

Für die meisten Unterhändler kam das Aus völlig überraschend. Aber nicht für alle. Für manche hatte sich der Schritt schon am Sonntagmorgen zu Beginn der Endrunde abgezeichnet. Lindner rannte wortlos an den Journalisten vorbei in die baden-württembergische Landesvertretung.

Er hatte wohl bei der Morgenlektüre zur Kenntnis genommen, dass der Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin fand, seine Partei sei „bis an die Schmerzgrenze gegangen“. Und der Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge für die Grünen nicht verhandelbar sei. Auch wenn sich später herausstellte, dass das so nicht gesagt worden war, hatte es zu dem Zeitpunkt schon für einigen Ärger bei der FDP gesorgt.

Bereits bei der ersten Besprechung habe Lindner beklagt, dass es keine Vertrauenbildung gebe, hieß es bei der Union. Einige trauten dem Frieden denn auch den ganzen Tag nicht richtig. Immer wieder wurde aus den Sondiererkreisen kolportiert, die FDP steige möglicherweise aus. Ein Ausstieg mit Ansage also? Kanzlerin Angela Merkel, die sichtlich um Fassung rang, sprach in der Nacht zum Montag von einem „fast schon historischen Tag“.

Lindner hatte immer wieder gesagt, die Chancen für ein Jamaika-Bündnis stünden 50 zu 50. Und die FDP habe keine Angst vor Neuwahlen. Das wollte keiner so richtig glauben. Zumal Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Wochenende in der „Bild am Sonntag“ mahnte, es bestehe kein Anlass für „panische Neuwahldebatten“.

Doch Lindner wollte ganz offensichtlich nicht vier Jahre mit den Grünen zusammen regieren. Mit CDU und CSU hätte es klappen können, sagte er. Das heißt, mit den Grünen nicht.

Was erhofft sich Lindner nun von dem Schritt? Er könnte sich ausmalen, dass bei Neuwahlen seine FDP noch besser abschneidet als im September. Mit um die 15 Prozent wäre vielleicht doch noch eine Koalition allein mit der Union möglich. Doch dies dann ohne Merkel. Denn das Verhältnis zwischen beiden ist nicht das beste. Immer wieder hatte Lindner Merkel im Wahlkampf sehr persönlich angegriffen. Zuletzt hatte sich der FDP-Chef während der Sondierungen laut Gedanken darüber gemacht, wann Merkel wohl von der eigenen Partei abgelöst werden könnte.

Es könnten auch noch alte Rechnungen offen sein. Denn als die FDP nach vier Jahren Schwarz-Gelb 2013 um den Einzug in den Bundestag zittern musste, war Merkel nicht gewillt, dem Koalitionspartner doch noch über die fünf Prozent-Hürde zu helfen. Die Entscheidung vom Sonntag nun könnte die Retourkutsche sein, denn diese politische Niederlage dürfte nicht spurlos an Merkel vorbeigehen.

Doch man kann sich beim Pokern auch verzocken. Merkel will an diesem Montag mit Steinmeier über das weitere Vorgehen sprechen. Der Bundespräsident, der gegen Neuwahlen ist, dürfte sicherlich auch nochmals mit der SPD eindringlich über die staatspolitische Verantwortung reden, die jetzt auf sie zukommt.

Wie auch immer dies ausgehen wird, die FDP hat zunächst viel Vertrauen verspielt. Der Druck auf die Ein-Mann-Partei wird wachsen. Auch wenn CSU und Grüne in den Gesprächen nicht weniger unnachgiebig gewesen sein dürften als die Liberalen. Die FDP ist ausgestiegen.

CSU-Chef Horst Seehofer sagte, eine Einigung sei „zum Greifen nahe“ gewesen. Der Abbruch der Jamaika-Sondierungen sei eine „Belastung“ für Deutschland. Angesichts der zahlreichen Krisen in der Welt hätte Deutschland eine stabile Regierung gebraucht. Die Botschaft ist klar: Wer ist schuld? Die FDP ist schuld.

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer, kritisierte, offenbar seien parteitaktische Erwägungen stärker gewesen als die gesamtstaatliche Verantwortung. „Damit haben die sondierenden Parteien Deutschland einen Bärendienst erwiesen“, erklärte Wollseifer - und meinte wohl die Liberalen.

Wie auch immer Merkel und Deutschland aus dieser Krise rauskommen: Die FDP wird zunächst mal die Oppositionsbank drücken. Dort sitzt sie dann neben der rechtskonservativen AfD - im Abseits. Es dürfte dauern, bis wieder Vertrauen entsteht.