Analyse Knapp, knapper, Kiel: Nächstes Fernduell Merkel-Schulz

Kiel/Düsseldorf/Berlin (dpa) - Von Zahlen haben die beiden Spitzengenossen gerade die Nase gestrichen voll. „Wen rufen die eigentlich an“, fragt ein wütender Torsten Albig in der Lübecker Kongresshalle sein SPD-Publikum.

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Von „dummen Umfragen“ spricht der Kieler Ministerpräsident. Kanzlerkandidat Martin Schulz, der gemeinsam mit Albig im eigens reservierten „Schulzzug“ per Regionalbahn durch den Norden tingelte, hält die Arbeit der Meinungsforscher für „Kokolores“.

In Schleswig-Holstein und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU geben. Sollten die Sozialdemokraten hinten liegen, gar beide sicher geglaubten Staatskanzleien verlieren, käme Merkel-Herausforderer Schulz schwer unter Druck.

Jüngste Wahlen haben gezeigt, dass Umfragen auch daneben liegen können. So gibt sich Albig unverdrossen optimistisch: „Es wird einen großen roten Balken, und einen kleinen schwarzen geben.“ Doch irgendwie wirken die Genossen bis hin zu 100-Prozent-Parteichef Schulz auf der Zielgeraden schon etwas angefasst bis bedröppelt.

Bei der Fahrt des „Schulzzuges“ von Kiel nach Lübeck wird er zwar an vielen Bahnsteigen von Fahnen schwenkenden Kindern und Rentnern bejubelt. An der Parteibasis funktioniert der „Schulz-Effekt“. Die zu Gabriel-Zeiten demoralisierte SPD glaubt wieder an sich.

Nachdenklich-matt schaut Schulz aber aus dem Fenster, als er von den knappen NRW-Umfragen erfährt. CDU-Mann Armin Laschet könnte Landesfürstin Hannelore Kraft gefährlich nahe kommen. FDP-Chef Christian Lindner, dem 12 bis 13 Prozent vorausgesagt werden, bringt nun schon frech Schwarz-Gelb ins Spiel.

Weil auch im Norden alle wieder mit dem typisch knappen Wahlausgang rechnen, kämpfen die Parteien bis zur letzten Minute um jede Stimme. Die Kanzlerin hat bis auf die Doppelpass-Unruhe in der Union wieder Oberwasser. Die CDU-Chefin produziert im Gegensatz zu Schulz tolle Bilder in Serie. Sie war beim saudischen König, bei Putin, bald ist Nato-Gipfel mit Trump.

Parallel diskutiert Merkel zum Kirchentag am Brandenburger Tor mit Obama über die Zukunft der Demokratie, dann ist G7-Gipfel in Sizilien. Anfang Juli ist Merkel Gastgeberin des G20-Gipfels in Hamburg. Schulz ist am Montag bei der Berliner IHK, am Dienstag diskutiert er mit Jugendlichen auf dem Schlachtfeld von Verdun.

Während Merkels Kanzlerschaft hat es noch nie ein CDU-Politiker geschafft, aus der Opposition heraus Regierungschef zu werden. Wenn der Last-Minute-Kandidat der Nord-CDU, Daniel Günther (43), sein Wahlziel 35 Prozent erreicht, kann das in Kiel gelingen.

Nach dem Triumph Ende März im Saarland würde die CDU so ein Ergebnis dahingehend interpretieren, dass der Schulz-Effekt kein Trend mehr ist, den die Kanzlerin im Herbst zu fürchten hat. Statt 2:1 für die SPD, könnte es nach den Landtagswahlen plötzlich 3:0 für die CDU stehen.

In der jüngsten Umfrage rangierte die CDU im Norden mit 32 Prozent vor der SPD mit 29. Die Grünen lagen bei 12 Prozent, die FDP bei 11 und der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Klausel befreite SSW bei 3 Prozent. Die AfD wäre mit 6 Prozent im Landtag, die Linke mit 4,5 Prozent nicht. Neben dem Bundestrend gäbe es dafür auch hausgemachte Gründe. Die SPD-geführte Landesregierung kam zwar ohne Krisen über die letzten Jahre. Aber im Wahlkampf lief bei den Genossen nicht alles glatt.

Das TV-Duell gegen Herausforderer Günther konnte Albig nicht gewinnen, und ein „Bunte-“Interview mit Schilderungen eines überkommenen Frauenbildes im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Frau stieß auf massive Kritik. Abgesehen von der Zusage, Eltern mittelfristig von allen Kita-Gebühren zu befreien, und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, mangelte es der SPD an überzeugenden Zukunftsbotschaften. CDU-Mann Günther setzte auf populäres Konkretes: weg vom Turbo-Abitur; größere Abstände zwischen neuen Windanlagen und Wohnhäusern, Grunderwerbsteuer senken, A20 endlich zügig weiterbauen.

Wenn es nach der Wahl mit einer Neuauflage der „Dänen-Ampel“ nicht klappt, rücken zwei Koalitionsvarianten in den Vordergrund: Für eine „Ampel“ aus SPD, Grünen und FDP müsste die SPD vergleichsweise stark sein und die FDP ebenfalls. Als bloßes Anhängsel von Rot-Grün will FDP-Vormann Wolfgang Kubicki nicht dienen. Mit harscher Kritik an Albig und SPD im Wahlkampfendspurt hat er auch den politischen Preis für eine „Ampel“ weiter nach oben getrieben.

Ein „Jamaika“-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen wäre das Wunschziel von Christdemokraten und Liberalen. Aber die Grünen könnte das zerreißen, auch wenn sie diese Konstellation nie ausgeschlossen haben. Eine große Koalition von CDU und SPD oder Rot-Rot-Grün rangieren auf der Wahrscheinlichkeitsskala weiter hinten. Aber für Überraschungen war der Norden schon immer gut.