Sondierungsgespräche Kurs Jamaika: Viele Fragen, keine Kernbotschaft
Berlin (dpa) - Wo ist der Hauch des Exotischen? Oder die Aussicht auf einen gesellschaftlichen Aufbruch in Zeiten von neuem Nationalismus? Sechs Wochen nach der Bundestagswahl drohen sich CDU, CSU, FDP und Grüne auf dem Weg nach Jamaika im Klein-Klein diverser Streitthemen zu verheddern.
In den Reihen mancher Möchtegern-Koalitionäre wächst schon die Ungeduld: Nur weitere sechs Wochen sind es noch, dann sollen eigentlich bei Grünen und FDP die Mitglieder und bei CDU und CSU Parteitage über den möglichen Koalitionsvertrag eines ersten schwarz-gelb-grünen Bündnisses auf Bundesebene entscheiden.
So war bisher jedenfalls insgeheim der Plan. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die anderen Spitzen der Jamaika-Parteien wollen wenn irgend möglich erreichen, dass noch vor Weihnachten eine Koalition steht. Mehr als drei Monate ohne handlungsfähige Regierung - das will in diesem Kreis angesichts der erstarkten AfD im Inland und internationaler Krisen niemand Deutschland gerne zumuten.
Doch nun wird es eng. Drei Wochen ließ Merkel wegen der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober verstreichen, bevor am 20. Oktober die Sondierungsgespräche starteten. Zwei Wochen später haben die Verhandler in kleinen und großen Gruppen acht Papiere zu zwölf Themenblöcken vorgelegt. Es sind gut 20 Seiten mit wenigen konkreten Leitlinien, aber voller Fragen. Die sollen in den nächsten Wochen nun weiter beackert werden. Es sind Dokumente, die belegen, was man schon vorher wusste: Das wird keine Liebesheirat, maximal eine Vernunfts- und wohl noch eher eine Pflichtehe. Denn nach der Absage der SPD an eine erneute Regierungsbeteiligung blieben sonst nur Neuwahlen. Und die wollen die Jamaikaner noch weniger.
Bei manchen in den Reihen der mehr als 50 Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen wachsen dennoch längst Zweifel, ob die Gemeinsamkeiten überhaupt für ein Zweckbündnis reichen. Wenn man weitermache wie im ersten Sondierungs-Durchgang werde man niemals rechtzeitig fertig, sagen manche am Rande der Gespräche in der noblen Parlamentarischen Gesellschaft am Reichstagsgebäude. Es fehle bisher eine Botschaft, mit der Schwarz-Gelb-Grün die eigene Basis ansprechen könne - und auch die Verunsicherten und Verärgerten von der AfD bis Pegida.
Auch bei den Optimisten auf dem Weg nach Jamaika wächst die Skepsis. Zwar sei es noch möglich, bis Weihnachten zu einer neuen Regierung zu kommen - aber sicher sei das nicht.
Die Keilereien vor allem zwischen den möglichen kleinen Partnern - CSU, FDP und Grünen - werden da noch eher als Folklore und Signale in die eigenen Reihen eingeordnet. Alexander Dobrindt, Wolfgang Kubicki, Anton Hofreiter - das seien nun mal Politiker mit Lust am Poltern.
Außerdem müsse ja den eigenen Reihen gezeigt werden, wie schwer man es sich jeweils auf dem Weg zu einer Einigung gemacht habe. Denn allen ist klar: Viel Begeisterung dürfte der Gedanke an Jamaika kaum auslösen, genauso wenig bei CDU und CSU wie bei FDP und Grünen. Aber ist es tatsächlich nur Theaterdonner?
Einen Vorgeschmack, wie es in möglichen vier Regierungsjahren zugehen könnte, liefern CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und die schleswig-holsteinischen Jamaikaner Robert Habeck (Grüne) und Kubicki (FDP) - obwohl man gerade von letzteren wegen ihres Bündnisses an der Förde mehr gegenseitiges Verständnis erwarten dürfte. Weil Habeck die Partner im Bund auf dem Weg zu einer Wende in der Agrarpolitik sieht, holzt Scheuer zurück: „Das ist echt schizophren.“ Und Kubicki wirft den Grünen vor, sie forderten von seiner Partei Demutsgesten: „In diesem Klima kann nichts gedeihen.“
Viel wird in den nächsten Wochen von Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner sowie den Grünen-Verhandlungsführern Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir abhängen. Mehrmals sind sie schon zu Geheimtreffen zusammengekommen, etwa um darüber zu beraten, wie die größten Hürden auf dem Weg nach Jamaika beispielsweise in der Zuwanderungs-, Klima- oder Agrarpolitik aus dem Weg geräumt werden könnten. Sie wissen: Bei fast allen Themen ist es schwierig, wenn im großen Kreis verhandelt wird. Wenn mehr als 20 Leute im Raum seien, gebe es zu viel Neigung zur Eigenprofilierung - Verhandlungen in kleinere Fachgruppen seien da pragmatischer.
In den kommenden eineinhalb bis zwei Wochen müsse es im zweiten Ritt durch die Sondierungsthemen deutlich konkreter werden, fordern Verhandler. Bis zum 15. oder 16. November wollen die Spitzen von Union, FDP und Grünen ein Sondierungspapier vorlegen, in dem der Weg zu einem Bündnis schon ziemlich klar vorgezeichnet ist. Die größte Hürde steht am 25. November bevor: Dann entscheidet ein Grünen-Parteitag, ob überhaupt formelle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen.
Das Papier müsse am Ende gut abgewogen sein, heißt es in den Reihen jener, die einen Erfolg der Verhandlungen wollen. Gerade bei den Knackpunkten müsse man konkret werden, damit sich jede Seite auch darin wiederfinden könne. Zugleich müsse es aber auch genügend Spielraum bieten, um möglichst viele Skeptiker auf dem Weg nach Jamaika mitzunehmen. Das könnte die Stunde der verhandlungserprobten Kanzlerin werden. Sie äußerte sich am Freitag erstmals öffentlich zu den Sondierungen und gab sich zuversichtlich. Sie gehe zwar von weiterhin schwierigen Beratungen in den kommenden Tage aus. „Aber ich glaube nach wie vor, dass wir die Enden zusammenbinden können, wenn wir uns mühen und anstrengen“, sagte Merkel. Von allen Seiten wird ihr eine hochprofessionelle wie geschickte Verhandlungsführung attestiert.