Fragen und Antworten Von Frauen und Männern: Der Fall Weinstein und die Folgen
Berlin (dpa) - Ein Filmmogul aus Hollywood hat zunächst mal wenig mit dem Alltag der meisten Frauen in Deutschland zu tun. Doch der Skandal um den „Pulp Fiction“-Produzenten Harvey Weinstein, der Anfang Oktober mit einem Artikel in der „New York Times“ ins Rollen kam, erreichte bald auch Deutschland.
Weinstein soll Schauspielerinnen sexuell belästigt und vergewaltigt haben - der Produzent bestreitet die Vorwürfe. Auch berühmte US-Schauspieler wie Kevin Spacey oder Dustin Hoffmann stehen inzwischen wegen sexueller Übergriffe massiv in der Kritik. Im Netz teilen Hunderttausende Frauen unter dem Schlagwort „#MeToo“ ihre Erfahrungen mit Chauvinismus, Sexismus und sexualisierter Gewalt. Auch in Deutschland wird wieder diskutiert - über Frauen, Männer und den Umgang miteinander.
Aus „#MeToo“ wurde schnell „Ich auch“. Viele Frauen sprachen auch hierzulande über Sexismus, Übergriffe und Vergewaltigungen. Fast die Hälfte der Frauen in Deutschland hat zufolge schon sexuelle Belästigung erfahren - zugleich gibt mehr als jeder sechste Mann zu, schon einmal jemanden sexuell bedrängt zu haben. Das ergab eine Umfrage des Instituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur.
Für Deutschland ist die Debatte nicht neu. Schon seit längerem gibt es eine Frauen-Generation nach der Feminismus-Pionierin Alice Schwarzer, die sich lautstark zu Wort meldet. Dazu gehört die Autorin Anne Wizorek, die 2013 nach Sexismus-Vorwürfen gegen den FDP-Politiker Rainer Brüderle die Internetaktion „#Aufschrei“ startete. „Wir müssen uns bei diesen Fällen immer wieder fragen und thematisieren: Was ist der Nährboden hierfür? Was können wir als Gesellschaft tun, um diese Gewalt zu verhindern?“, sagte Wizorek angesichts der im Netz vielfach geteilten Übergriff-Schilderungen.
Diskutiert wird nun die Frage, wie sich Männer verhalten sollten. Oft kommentiert wurde dazu ein schonungsloser „Krautreporter“-Artikel von Christian Gesellmann, der feststellte: „Die Wahrheit ist: Ich bin 33 Jahre alt und ich kann mich an kein einziges Gespräch mit anderen Männern erinnern, in dem wir über dieses Thema gesprochen haben: sexuelle Gewalt gegenüber Frauen.“
Sie nahmen das Thema zunächst zurückhaltend auf. Dann gab es erste Schauspielerinnen, die darüber sprachen. Maren Kroymann gab im dpa-Interview Kolleginnen den Rat: „Habt den Mut zu sagen: Ich lasse es mir nicht gefallen.“ In einem Dossier der „Süddeutschen Zeitung“ wurde deutlich, dass sowohl Film als auch Theater betroffen sind. Schauspielerin Jasmin Tabatabai postete bei Twitter unter „#MeToo“: „Ich kenne keine Frau, bei der das nicht der Fall ist.“
Prominente wie Uschi Glas und Birgit Schrowange berichteten in der „Bunten“, wie sie belästigt wurden. „Einmal ist es mir passiert, dass ein Kollege eine Liebesszene ausnutzen wollte“, erzählte Glas. „Er hat den Kuss nicht gespielt, sondern mir seine Zunge in den Mund gesteckt. Das war eine wirkliche Belästigung.“ Sie habe die Szene sofort abgebrochen und den Kollegen vor dem ganzen Team zur Rede gestellt. Schrowange sei früher von einem Sendeleiter „dermaßen bedrängt und genötigt“ worden, dass sie sich vor ihm geekelt habe.
Der Bundesverband Schauspiel wendet sich auf seiner Internetseite an Opfer sexueller Belästigung. Beim Unterpunkt „Unter der Gürtellinie“ sind jetzt mehrere Anlaufstellen aufgelistet, an die sich Betroffene im Fall einer Belästigung wenden können. Zudem bestehe die Möglichkeit, anonym den eigenen Fall zu schildern und auch persönliche Gespräche zu führen, sollte dies von Opfern sexueller Belästigung gewünscht werden.
Hilft eine Quote? Das Bündnis Pro Quote Regie erklärt: „Männer vereinen auch in der Filmbranche nach wie vor die meisten Führungspositionen auf sich und haben damit - häufig noch mit öffentlichen Mitteln finanziert - die alleinige Macht. Sexualisierte Gewalt ist eine Form des Machtmissbrauchs.“ Ausgewogene Geschlechterverhältnisse auf den Führungsebenen seien das einzige sinnvolle nachhaltige Korrektiv. „Wir sehen ein Problem darin, dass sich bisher sehr wenige Männer in die Debatte eingebracht haben. Wir meinen: Wer für sich die Führungspositionen beansprucht, muss auch Verantwortung tragen und zeigen.“
Berlinale-Chef Dieter Kosslick warb im RBB-Interview dafür, offen über Machtmissbrauch in der Filmbranche zu reden. Geschäftlich habe er mit Weinstein einige Desaster erlebt und sei unter Druck gesetzt worden. Er habe dann den Kontakt zu dem Filmproduzenten abgebrochen.
SPD-Politikerinnen wie Katarina Barley und Andrea Nahles begrüßten die „#MeToo“-Debatte. In ihrer politischen Karriere habe sie selbst Sexismus erlebt, berichtete Nahles in der „Bild am Sonntag“: „Eine typische Sexismus-Erfahrung ist, dass Frauen nicht ernst genommen werden. Ich habe in meinem Leben unglaublich oft gehört: Die kann das nicht. Oder: Sie ist noch nicht so weit.“ Vergleichbares bei Männern kenne sie nicht. Barley zeigte sich erfreut über die Debatte. „Viele Männer verstehen nicht, dass in ihren Bemerkungen etwas Gönnerhaftes liegt, dass die Bewertung der Frau auch zeigt, dass der, der bewertet, die Macht hat, dies zu tun“, sagte sie dem „Spiegel“.
Ex-Bundesfrauenministerin Barley fordert: „Die Lohnlücke muss geschlossen werden, es müssen so viele Frauen wie Männer in den Parlamenten sein, Elternzeit muss genauso Frauen- wie Männeraufgabe sein.“ Die SPD-Politikerin sprach sich außerdem für schärfere Gesetze aus. Die Grünen-Politikerin Renate Künast hält das nicht für notwendig und verweist etwa auf die 2016 beschlossene Verschärfung des Sexualstrafrechts. Nach dem Grundsatz „Nein heißt Nein“ sind bereits Annäherungen gegen den Willen des Opfers strafbar.
Die Geschlechterforscherin Prof. Katja Sabisch von der Universität Bochum ist überzeugt: „Es ist ein Diskurs, der in die Wirklichkeit eingreift. Er macht Sexismus und sexualisierte Gewalt sichtbar.“ Wizorek weist aber auch darauf hin, dass es zuvor ähnliche Aktionen im Netz gab, die nicht immer den gewünschten Erfolg hatten. „Nach den Veröffentlichungen der Trump Tapes gab es den Hashtag „#NotOkay“. Trotzdem ist Donald Trump heute US-Präsident.“ Vor der US-Wahl vor einem Jahr war ein Video öffentlich geworden, in dem Trump sich frauenfeindlich äußerte.