Analyse Lauter Gabriel, leise Merkel

Berlin (dpa) - Als Union und SPD vor gut vier Jahren eine große Koalition bildeten, sprachen manche von einem „Meisterstück“ - dem Meisterstück des damaligen SPD-Chefs Sigmar Gabriel.

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Es wirkte, als habe er im Alleingang viele Vorhaben der Sozialdemokraten in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt und ebenso allein die SPD-Basis von dieser Koalition überzeugt. „GroKo“ wurde Wort des Jahres 2013.

Wort des Jahres 2017 ist „Jamaika-Aus“. Weil es nicht geklappt hat mit Union, FDP und Grünen, spricht Deutschland wieder über die GroKo. Konkret wird es, wenn sich vom 7. Januar an insgesamt 39 Politiker von CDU, CSU und SPD an einen Tisch setzen. Nicht dabei: Gabriel und die anderen SPD-Minister. Weil Parteichef Martin Schulz den Eindruck vermeiden will, eine erneute große Koalition wäre schon ausgemachte Sache. Nach dem 20,5-Prozent-Debakel bei der Bundestagswahl wollen viele in der SPD sich erst mal in der Opposition berappeln.

Das hindert den Noch-Außenminister und Noch-Vizekanzler nicht daran, mitzureden. Wenn das Kanzleramt „alle Vorschläge zur EU-Reform weiterhin ablehnt“, dann werde es keine Koalition mit der SPD geben. Und wenn die Union „darauf besteht“, dass Privatpatienten den gesetzlich Versicherten vorgezogen werden, dann „macht es ebenfalls wenig Sinn, Koalitionsgespräche zu führen“. Überhaupt müsse die Union mal „aus der Deckung kommen“ und sagen, was sie eigentlich wolle, so Gabriel in der „Bild“.

Tatsächlich sind es seit Wochen vor allem die Sozialdemokraten, die mit ihren Forderungen Schlagzeilen machen - von höheren Steuern für Reiche über die Bürgerversicherung bis zu den Vereinigten Staaten von Europa. Politiker von CDU und CSU senken dazu wieder und wieder den Daumen: Geht nicht, wollen wir nicht. Aber was ist mit eigenen Ideen und Forderungen, die über die Begrenzung des Flüchtlingszuzugs und Konsensthemen wie „mehr Geld für die Pflege“ hinausgehen, die zukunftsweisend für das Land wären?

Das fällt auch auf die CDU-Chefin zurück, deren Rückhalt angesichts der langwierigen Regierungsbildung bröckelt. Fast jeder Zweite will inzwischen, dass Angela Merkel vor Ende der Wahlperiode 2021 aus dem Kanzleramt auszieht, wie YouGov für die dpa ermittelt hat. Nur noch 26 Prozent wollen eine weitere vollständige Merkel-Amtszeit. Immerhin: Im Unionslager wünschen sich drei von vier Anhängern, dass die 63-Jährige die vollen vier Jahre im Amt bleibt.

Vorausgesetzt natürlich, sie schafft es, eine Regierung zu bilden, und wird zu deren Chefin gewählt. Denn noch ist nicht klar, wohin die Sondierungen führen - das soll am 12. Januar feststehen. Laut YouGov rechnen 41 Prozent mit einer großen Koalition, 13 Prozent mit einer Minderheitsregierung und 24 Prozent mit einer Neuwahl. Merkel beharrt darauf, sie wolle eine „stabile Regierung“.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki trat der Kanzlerin gerade noch mal verbal gegen das Schienbein und warf ihr vor, eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen nie wirklich gewollt zu haben. Das mag überzogen sein - von einer gewissen Führungsschwäche Merkels in den Sondierungen zu Jamaika hatten aber mehrere Teilnehmer unterschiedlicher Parteien berichtet.

Das Thema Führungsschwäche beschäftigt allerdings nicht nur die CDU. Auch SPD-Chef Schulz muss sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen - unter anderem, weil er eine große Koalition gleich zweimal ausgeschlossen hat und dann zurückrudern musste. Zudem scheinen die verschiedenen Forderungen bei den Wählern nicht recht zu zünden. In einer aktuellen Forsa-Umfrage für das RTL/n-tv-„Trendbarometer“ rutscht die SPD jedenfalls ab auf 19 Prozent.

Umso mehr fallen Gabriels jüngste Einlassungen zur Koalition, zur deutschen Politik überhaupt und zum Kurs der SPD ins Auge. Ob die mit dem Parteichef abgesprochen sind, dazu gibt es öfter mal widersprüchliche Aussagen. Gibt er den Bad Cop, um Chef-Sondierer Schulz den Rücken frei zu halten - oder kämpft er dagegen, von eben diesem Schulz aufs Abstellgleis geschoben zu werden? Über seine jüngsten GroKo-Bedingungen heißt es bei der SPD jedenfalls, niemand aus dem Sondierungsteam werde ihm widersprechen.