Löws Titelplan mit „Spezialkräften“ von der Bank
Santo André (dpa) - Noch kann Joachim Löw pokern und tüfteln, sein Titelkonzept hat der Bundestrainer aber schon am Eröffnungstag der Fußball-Weltmeisterschaft preisgegeben.
Es gibt keine Stammelf mehr, sondern unter den extremen Bedingungen in Brasilien werde es mehr als jemals zuvor auf die „Spezialkräfte“ von der Bank ankommen - und das schon zum Auftakt am Montag gegen die gefährlichen Portugiesen.
„Die Einsicht, dass wir eine erste 14 haben, ist fundamental. Es ist keine Strafe, wenn ich nicht von Minute eins auf dem Platz bin“, lautete die Kernbotschaft des Bundestrainers an Promi-Kicker wie Bastian Schweinsteiger, Miroslav Klose oder Mario Götze, die am Montag in Salvador wohl zunächst nur Ersatz sein werden.
Bei seiner ersten Pressekonferenz im WM-Land am Donnerstag in Santo André zeigte sich Löw erstaunlich auskunftsfreudig und wirkte im hellblauen T-Shirt betont entspannt. „Ich fühle mich hervorragend, ausgeglichen, konzentriert und fokussiert“, sagte der 54-Jährige.
Auch wenn der Freiburger in den Übungseinheiten, bei denen er Augenzeugen höchstens noch zu Beginn duldet, bis zuletzt „dieses oder jenes ausprobiert“, macht er aus seinem Portugal-Plan kein Geheimnis mehr. Er wechselt vom 4-2-3-1-System der letzten Turniere zu einer taktischen 4-3-3-Ausrichtung mit „vier Mann hinten, drei Mittelfeldspielern zentral und drei Spielern in der Offensive“.
Die zehn Feldspieler vor Torwart Manuel Neuer verriet Löw nicht namentlich. Aber die Startelf zeichnet sich durch weitere Aussagen und Erkenntnisse der Vorbereitung klar ab. Löw stellt vier Innenverteidiger - Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes - in die Abwehrreihe. „Bei diesem Turnier brauchen wir nicht immer diese offensiven Außenverteidiger“, begründete Löw. Jérome Boateng erhält wie schon beim 1:0-Auftaktsieg gegen Portugal bei der EM 2012 wieder den Spezialauftrag, als rechter Verteidiger Weltfußballer Cristiano Ronaldo zu stoppen. „Jérome hat das damals gut geschafft“, sagte Löw.
Philipp Lahm wird erstmals als Mittelfeldspieler in ein Turnier starten. Das hatte Löw schon gegen Armenien so getestet, „und ich bin ziemlich sicher, das wird auch die Lösung sein für Montag“. In der Zentrale sollen Sami Khedira und Toni Kroos neben dem Kapitän agieren, davor sind offensiv Thomas Müller und Mesut Özil gesetzt.
An dem Spielmacher vom FC Arsenal hält Löw trotz erheblicher Formschwankungen in der WM-Saison und auch während der Vorbereitung fest: „Mesut macht mir einen frischen, wachen, konzentrierten Eindruck. Ich habe immer gesagt, Mesut Özil kann ein wichtiger und entscheidender Spieler für Deutschland sein“, sagte Löw. Für den Bundestrainer ist Özil eben auch „ein Stürmer“. Offen ist nur noch, wer links vorne beginnt, der favorisierte Lukas Podolski oder André Schürrle.
Für Startspieler Podolski spricht, dass er nicht nur ein effektiver Joker wie Schürrle und Mario Götze ist. Die Bank ist für Löw der große deutsche Trumpf. „Wir haben keine Stammspieler, sondern 23 WM-Teilnehmer, die alle jede Minute in höchster Alarmbereitschaft sein müssen“, sagte der Bundestrainer. Die elf Startspieler sollen „den Gegner so bearbeiten“, dass die frischen Spieler nach der Pause zuschlagen können. „Die Spezialkräfte müssen den Unterschied ausmachen“, forderte der Bundestrainer.
Auch Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger bleibt darum für Löw ein „superwichtiger Spieler“, der im Verlauf der Partie etwa einen entkräfteten Khedira ablösen könnte. „In der zweiten Halbzeit beginnt eine zweite Phase im Spiel. Es ist eine ganz besondere Aufgabe und Verantwortung für diejenigen, die reinkommen, neue Energie und Impulse zu geben“, betonte Löw. „Wer die Bedingungen hier kennt, weiß, dass man nicht nur einen Gegner besiegen muss.“ Schon im Training zur Anstoßzeit um 13.00 Uhr belastete er die Spieler extrem: „Wir wollten bewusst in den roten Bereich vordringen.“
Es würden „viele auf der Bank sitzen, die das nicht gewohnt sind“, bemerkte Lahm, der ebenfalls in dem „breiten, qualitativ hochwertigen Kader“ einen Pluspunkt sieht. „Daraus die Besten zu wählen und auch die Positionsfragen zu entscheiden, ist mehr Luxus als Problem“, betonte Abwehrchef Per Mertesacker, der anmerkte: „Ich glaube nicht, dass mit der Entscheidung für die Startmannschaft im ersten Spiel eine Festlegung für die weiteren Spiele getroffen ist.“
Podolski, Klose, Schürrle, Götze - gerade offensiv kann Löw Qualität nachlegen. Im Training sei „Feuer“, jeder wolle sich aufdrängen, frohlockte der Trainer. Mit am besten gelang das Podolski. „Ich bin heiß, ich will ein gutes Turnier spielen mit den Jungs zusammen“, sagte der 114-malige Nationalspieler.
Löw weiß um die Bedeutung des ersten Turnierspiels, in dem er gleich „ein Ausrufezeichen“ setzen will. Der Respekt vor Ronaldo und Co. ist groß. Chef-Scout Urs Siegenthaler bezeichne die Portugiesen sogar als „Weltmeister im Konterspiel“, wie Löw berichtete.
Der erste Kontrahent weckt aber auch gute Erinnerungen, hob Teampsychologe Hans-Dieter Hermann hervor. „Für uns ist es immer ein gutes Gefühl, gegen Portugal zu spielen.“ Die letzten drei Duelle bei der WM 2006 (3:1), der EM 2008 (3:2) und der EM 2012 (1:0) endeten mit Siegen und jeweils mit Frust bei Weltfußballer Ronaldo. „Wir haben drei unangenehme und hartnäckige Gruppengegner“, sagte Löw: „Portugal ist extrem gefährlich. Ein Sieg gibt einem einen Schub für die nächsten Spiele und das Turnier.“