Machtkampf: 25 Polizisten und 36 Gefangene getötet

Kairo/Brüssel (dpa) - Der Machtkampf zwischen den Islamisten und dem Sicherheitsapparat in Ägypten hat binnen weniger Stunden weitere 60 Opfer gefordert. Extremisten töteten in der ägyptischen Stadt Rafah am Montag 25 Polizisten.

Am Vorabend waren nach Angaben der Behörden und der entmachteten Muslimbruderschaft mindestens 36 Gefangene umgekommen, als während eines Gefangenentransports von Kairo nach Al-Kaljubija eine Meuterei ausbrach. In Brüssel kamen die Botschafter von 28 EU-Staaten zu einem Krisentreffen zusammen, um über mögliche Konsequenzen zu beraten.

Nach Angaben eines ägyptischen Sicherheitsbeamten wurden am Morgen zwei Fahrzeuge der Ordnungspolizei von Unbekannten westlich von Rafah mit Panzerfäusten aus einem Hinterhalt angegriffen. Die Angreifer hätten fast alle Soldaten in den beiden Fahrzeugen getötet. Nur zwei Soldaten hätten schwer verletzt überlebt und seien in ein Militärkrankenhaus gebracht worden.

Die Region Rafah gilt als Hochburg militanter Salafisten. Sie liegt auf der Sinai-Halbinsel an der Grenze zum palästinensischen Gazastreifen. Außerdem kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Betreibern der Schmugglertunnel, durch die Waffen und Waren des täglichen Bedarfs in den Gazastreifen gelangen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle verurteilte die Tötung der Polizisten durch Extremisten „auf das Schärfste“. „Die Spirale der Gewalt, die Ägypten erschüttert, muss jetzt dringend gestoppt werden“, sagte er in Berlin. Zugleich erneuerte er seinen Vorschlag für eine Art Runden Tisch, der in Kairo Vertreter aller politischen Kräfte und Gruppierungen zusammenbringt. Mit „Empörung“ reagierte die Bundesregierung auf Übergriffe gegen christliche Kirchen in Ägypten.

Der Tod von 36 Anhängern der Muslimbruderschaft in Polizeigewahrsam sorgte auch bei Gegnern der entmachteten Islamisten für großes Entsetzen. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Hamdien Sabahi forderte auf Twitter, eine Untersuchungskommission müsse klären, wie die Untersuchungshäftlinge vor dem Gefängnis Abu Sabal getötet werden konnten. Der Kommission sollten Juristen und Menschenrechtler angehören.

Die staatlichen Medien hatten zuvor berichtet, 36 Untersuchungshäftlinge aus den Reihen der Muslimbrüder hätten am Sonntagabend versucht zu fliehen, während sie von der Sicherheitsdirektion in Kairo in das Gefängnis verlegt werden sollten. Um ihre Flucht zu verhindern, hätten die sie begleitenden Polizisten Tränengas eingesetzt. Die Gefangenen seien in einem Transportfahrzeug erstickt.

Der Nachrichtensender Al-Dschasira meldete, die Gefangenen hätten während ihres Fluchtversuches einen Polizeioffizier als Geisel genommen. Die Muslimbruderschaft erklärte, die Polizisten hätten die Gefangenen, die zuvor mehrere Tage in zwei Polizeistationen im Kairoer Stadtteil Nasr-City vernommen und misshandelt worden seien, erschossen.

Die Website der Kairoer Tageszeitung „Al-Shorouk“ meldete, Soldaten, die ein Hotel für Offiziere in der Oase Fajjum südlich von Kairo bewachten, seien in der Nacht aus einem fahrenden Auto beschossen worden. Bei einem anschließenden Schusswechsel hätten die Soldaten zwei Angreifer getötet, darunter einen 15-Jährigen.

Seit der gewaltsamen Räumung von zwei Protestlagern der Anhänger des islamistischen Ex-Präsidenten Mohammed Mursi am vergangenen Mittwoch ist ein erbitterter Machtkampf zwischen der neuen und der alten Führung entbrannt. Die Armee hatte Mursi, der inzwischen in Untersuchungshaft sitzt, am 3. Juli abgesetzt, nachdem Millionen Demonstranten seinen Rücktritt gefordert hatten.

„Die Menschlichkeit und die Gerechtigkeit sind aus Ägypten geflohen“, schrieb der ägyptische Menschenrechtler Gamal Eid auf Twitter. Wie ihm geht es vielen Ägyptern, die in den zweieinhalb Jahren seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak vergeblich auf bessere Zeiten gewartet haben. Doch wer weder die entmachteten Muslimbrüder unterstützt noch Sympathien für die alten Seilschaften im Sicherheitsapparat hegt, hat es in diesen Tagen schwer. Mehrere Journalisten wurden in den vergangenen Tagen in Kairo von Passanten beschimpft und angepöbelt.

Die verheerenden Auswirkungen der Unruhen auf die Wirtschaft, zeigen sich in den Touristenzentren des Landes. Von den rund 42 000 Hotelbetten in der südlichen Stadt Luxor waren in der vergangenen Woche nach Angaben der örtlichen Vereinigung der Tourismusindustrie gerade einmal 1052 belegt. Zahlreiche Hotels hätten bereits Mitarbeiter entlassen oder ganz geschlossen.