Merkel und Sarkozy machen vor G20-Gipfel Druck
Cannes/Berlin/Athen (dpa) - Neues Kapitel einer schier unendlichen Krise: Der G20-Gipfel wird für Europa wegen der Griechenland-Krise zur Nagelprobe seiner Verlässlichkeit.
In äußerst angespannter Atmosphäre loteten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy und europäische Spitzenpolitiker bei einem Treffen am Vorabend des Gipfels im französischen Cannes Wege aus, die völlig verunsicherten Anleger und Märkte wieder zu beruhigen.
Kern des Problems ist die Situation nach dem griechischen Versprechen, den EU-Rettungsplan einem Referendum zu unterwerfen. Derweil kämpft der griechische Premier Giorgos Papandreou daheim ums politische Überleben.
Vor dem Krisentreffen am Mittwochabend forderte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in drastischer Weise politische Stabilität in Griechenland. Die EU habe ein Hilfsprogramm für das verschuldete Land aufgelegt, „um diese Maßnahmen zu verankern, ist es ausgesprochen wichtig, Stabilität in dem Land zu haben.“
Der französische Premierminister Francois Fillon sagte vor dem Krisentreffen: „Die Griechen müssen schnell und ohne Doppeldeutigkeit erklären, ob sie - ja oder nein - ihren Platz in der Eurozone behalten wollen.“
Merkel und Barroso erwarteten von Papandreou, mit dem sie später am Abend sprechen wollten, ein starkes Signal für die Fortsetzung von Reformen und eine Sanierung des Haushalts. Ohne eine solche Geste könnte die europäische Solidarität für das Krisenland in Frage gestellt werden, meinten Diplomaten.
Teilnehmer der sogenannten Frankfurter Runde vor dem Gipfel waren neben Merkel Sarkozy, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Der frisch gebackene EZB-Chef Mario Draghi, eigentlich auch Teil der Runde, war wegen anderer Termine nicht in Cannes.
Merkel zeigte sich - ebenso wie Sarkozy - verärgert, nicht rechtzeitig von Papandreou ins Bild gesetzt worden zu sein. „Im Interesse der europäischen Zusammenarbeit hätte sie (die Bundesregierung) es vorgezogen, wenn die griechische Regierung Deutschland und ihre anderen europäischen Partner darüber vorher informiert hätte“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Papandreou beharrte in Athen trotz internationaler Kritik auf seinem Versprechen einer Volksabstimmung. Damit stellte er den mühsam zwischen den Euro-Staaten und den Banken ausgehandelten Schuldenschnitt infrage. Allerdings blieb unklar, worüber genau er - vermutlich im Dezember oder Januar - abstimmen lassen will.
Zunächst muss Papandreou am Freitag eine Vertrauensabstimmung überstehen. Deren Ausgang gilt als ungewiss, seine sozialistische Fraktion hat nur zwei Stimmen Mehrheit im Parlament. In Athen mehrten sich Stimmen, die eine Regierung der nationalen Einheit forderten.
Papandreou reagierte demonstrativ optimistisch: „Das Referendum wird eine klare Nachricht für den Euro sein.“ Geht es nach Merkel, soll sich der Grieche in Cannes unzweifelhaft zu seinen Sparversprechen bekennen.
Der G20-Gipfel versammelt am Donnerstag und Freitag die Staats- und Regierungschefs der führenden Volkswirtschaften der Erde. Merkel will die Gelegenheit nutzen, sich mit US-Präsident Barack Obama zu treffen. Obama hofft, dass die G20 Signale zur Ankurbelung der Weltwirtschaft setzen, wovon auch die flaue US-Konjunktur profitieren könnte.
12 000 Polizisten und Sicherheitskräfte sind für das Treffen in dem Seebad an der Côte d'Azur aufgeboten.
Die Gipfelrunde will Beschlüsse fassen, die die Macht der größten Banken beschneiden. Zudem stehen Währungsstreitigkeiten und die Machtverteilung im Internationalen Währungsfonds auf der Agenda.
Auch von anderer Seite geraten die Brüsseler Gipfel-Beschlüsse der vergangenen Woche unter Druck: So erklärte der deutsche Bankenverband, der freiwillige Forderungsverzicht der privaten Geldgeber Griechenlands liege bis zu dem Referendum auf Eis. „Solange das Ergebnis der Volksabstimmung nicht vorliegt, ist auch ein konkretes Angebot der griechischen Regierung für den geplanten Anleihetausch wenig sinnvoll“, sagte der Geschäftsführer des Verbandes, Michael Kemmer.
Die 17 Staats- und Regierungschefs der Euroländer hatten unter anderem ein neues 100-Milliarden-Euro-Paket für Athen beschlossen. Private Gläubiger wie Banken und Versicherer hatten angekündigt, auf die Hälfte ihrer Forderungen zu verzichten. Anfang 2012 sollten nach dem ursprünglichen Plan alte gegen neue griechische Anleihen getauscht werden.
Etwas Entspannung könnten neue Finanzzahlen aus Athen bringen: Demnach habe Griechenland bis Mitte Dezember keinen akuten Geldbedarf, wie der Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Martin Kotthaus, in Berlin sagte. Auf die Auszahlung weiterer acht Milliarden Euro aus dem ersten Hilfspaket müsse Athen allerdings noch warten.
Das andere Sorgenkind Europas, Italien, als G8-Mitglied auch nach Cannes geladen, versucht weiter fieberhaft seine Kritiker zu beruhigen. Italien gilt nach Griechenland als Zeitbombe für die Stabilität der Eurozone, wenn das Land sich nicht endlich reformiert und für mehr Wachstum sorgt.