Großmanöver in Weißrussland Moskaus militärische Muskelspiele
Moskau/Brüssel (dpa) - Russische und weißrussische Generäle berichten abgeklärt, was in Osteuropa durchgespielt wird. Zuerst erklären Separatisten der fiktiven von Weißrussland abtrünnigen Republik Weischnoria die Unabhängigkeit.
Rückendeckung bekommen sie von den Nachbarländern Wesbaria und Lubenia.
Doch Moskau und das traditionell eng verbündete Minsk sind bereit, sich dem Feind entgegenzustellen. Und das mit allen Waffen, die Kremlchef Wladimir Putin und sein Kollege Alexander Lukaschenko zur Verfügung stehen.
Klingt wie ein Computerspiel? Ja, ist es aber nicht. Das Szenario ist der Ausgangspunkt für das nächste große Militärmanöver russischer und weißrussischer Streitkräfte. Es hat an der Grenze zum Baltikum begonnen und heißt passenderweise „Sapad“ (Westen).
Nahkampf, Panzer, Atomkrieg: Nach offiziellen Angaben werden an sechs verschiedenen Truppenübungsplätzen nahe Minsk 7200 weißrussische und 5500 russische Soldaten - also insgesamt 12 700 Mann - für den Ernstfall trainieren. Verteidigungsminister Sergej Schoigu will das Manöver zu dem „bedeutendsten Ereignis für die Streitkräfte“ machen. Es habe aber „rein defensiven Charakter“, heißt es aus seinem Ministerium.
Die osteuropäischen Nachbarn und die Nato haben daran so ihre Zweifel. Russland-Kritiker vermuten, das die nur auf den Skizzen der Moskauer und Minsker Generäle existierenden Namen Wesbaria und Lubenia für die EU- und Nato-Mitglieder Litauen und Lettland stehen könnten. Die Regierungen der Baltenstaaten sind in Alarmbereitschaft, zusätzliche US-Kampfjets wurden nach Litauen verlegt. Auch US-Kriegsschiffe werden demnächst in der Ostsee erwartet.
Abschreckung lautet das Motto - auch wenn außerhalb der Baltikums kaum einer wirklich nervös ist. Die Nato sei wachsam, sehe aber „keine unmittelbare Gefahr“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einem Besuch eines Bündnisstützpunktes in Estland. Die Allianz hatte bereits dem nach Ausbruch der Ukraine-Krise im Jahr 2014 ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet erheblich erhöht.
Kritik an „Sapad“ gibt es dennoch auch von der Nato. Die Übung wird nämlich als Paradebeispiel dafür gesehen, dass Russland sich nicht an internationale Spielregeln hält. Bundesverteidigungsministern Ursula von der Leyen geht davon aus, dass „über 100 000“ Soldaten an dem Manöver teilnehmen werden. Die Zahl von 12 700 nennt Russland demnach nur, um Verpflichtungen zu umgehen, die es als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eingegangen ist.
Diese sehen unter anderem vor, dass OSZE-Staaten bei Militärmanövern mit mehr als 13 000 Soldaten eine umfangreiche Beobachtung ermöglichen. Selbst das Überfliegen das Manövergebiets und Gespräche mit beteiligten Soldaten wären demnach erlaubt.
Die entscheidende Frage könnte in diesem Jahr lauten: Welche Übungen gehören eigentlich zu „Sapad“? Denn gleichzeitig zum Herbstmanöver üben auf der Halbinsel Kola wie auch in der russischen Enklave Kaliningrad zusätzliche Truppen; die Nordflotte trainiert etwa auf russischem Territorium nahe dem Baltikum.
So oder so: Sanktionsmöglichkeiten hat die Nato kaum. Die Beziehungen zu Russland sind seit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts so schlecht wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Jegliche Art von praktischer Zusammenarbeit ist bereits eingestellt. Hinzu kommt, dass sich ein Bruch der OSZE-Regeln nur im Nachhinein und mit Hilfe von Spionageergebnissen nachweisen lässt. Und letztere können schlecht als offizielle Beweismittel vorgelegt werden.
In Moskau will man von den Sorgen und der Kritik nichts wissen. Nato-Staaten würden absichtlich Misstrauen schüren und Sapad „dämonisieren“, sagte der russische Nato-Botschafter Alexander Gruschko nach einer Sitzung des Nato-Russland-Rates. Gerne wird auch darauf verwiesen, dass das Herbstmanöver zur Ausbildung der russischen Truppen reine Routine sei. Jedes Jahr wird nämlich in einem anderen Militärbezirk ein derartiges Szenario geübt. Um sich offen und transparent zu geben, haben Russland und Weißrussland die Nato zu den offiziellen Besuchertagen eingeladen. In Brüssel wird das als Farce gesehen.