„Musterschüler“ Portugal: Eine Erfolgsstory mit Schattenseiten
Lissabon (dpa) - Kaum jemand blickt dieser Tage gespannter nach Griechenland als Pedro Passos Coelho. Die Lage in Hellas dient dem Ministerpräsidenten von Portugal rund drei Monate vor der Parlamentswahl als Beweis dafür, dass er in seiner vierjährigen Amtszeit alles richtig gemacht hat.
„Unsere Strategie der Strenge und der Glaubwürdigkeit war genau richtig“, sagte Passos am Mittwochabend während einer Debatte im Parlament in Lissabon.
In der Tat steuerte die konservative Regierung das Land mit einer strengen Spar- und Reformpolitik aus einer schlimmen Finanzkrise. 2011 war Portugal von der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 78 Milliarden Euro vor dem Bankrott bewahrt worden. Seit Mai 2014 steht das ärmste Land Westeuropas nach „kolossalen Bemühungen“ (Passos) finanziell wieder auf eigenen Beinen.
Nach drei Rezessionsjahren in Serie, in denen die portugiesische Wirtschaft in Folge des harten Sanierungsprogramms insgesamt um 6,5 Prozent geschrumpft war, durfte man sich 2014 zudem über ein Wachstum von 0,9 Prozent freuen. Auch die Arbeitslosenrate wird langsam aber sicher nach unten (zuletzt auf 13,2 Prozent) gedrückt.
„Musterschüler“ wird Portugal in Brüssel und von Medien genannt - und Athen als Exempel vorgehalten. Doch die Erfolgsstory hat am Tejo Schattenseiten. Während im Parlament die Debatte lief, bereiteten sich nur ein paar Straßen entfernt mehrere Obdachlose in der prestigeträchtigen Avenida da Liberdade auf eine weitere Nacht im Freien vor. „So viele Notleidende hat man hier noch nie gesehen“, sagt der Bankangestellte Nuno (39).
Die Verbesserung der makroökonomischen Situation ist im Alltag noch nicht zu spüren. Im Gegenteil. Die Krise sei im Land „noch längst nicht vorbei“, sagte erst vor einigen Wochen Eugenio Fonseca, portugiesischer Präsident des katholischen Hilfswerks Caritas. Die Hilfsanträge von Bedürftigen nähmen unentwegt zu. Der Anteil der Menschen mit Armutsrisiko habe 2014 in Portugal mit 2,1 Prozent sogar stärker zugenommen als in Griechenland, das einen Anstieg von 1,1 Prozent registriert habe, heißt es in einer Studie der Caritas.
Obwohl es dem Land inzwischen besser geht, wird die Sparpolitik kaum gelockert, die meisten Steuererhöhungen und Kürzungen bleiben bestehen. Der Durchschnittsrentner muss mit 361 Euro im Monat auskommen. „Ich muss immer entscheiden, ob ich entweder Essen kaufe, den Strom bezahle oder meinen zwei joblosen Kindern helfe“, erzählt die 72-jährige Sofia.
Der angesehene Soziologe Boaventura Sousa Santos (74) schimpft: „Die Rechte der Arbeiter werden immer mehr vernichtet“. Die Zustände im Land ähnelten inzwischen denen der Diktatur vor der Nelkenrevolution im Jahr 1974, sagt er.
Doch es gibt nicht nur soziale Bedenken. Der IWF kritisierte jüngst, das Wachstum der Wirtschaft müsse unbedingt und schnell beschleunigt werden.
Vor dem Hintergrund der Zuspitzung der Lage in Griechenland warnen Experten im In- und Ausland unterdessen immer häufiger vor einer Ansteckung Portugals. Mit einer Verschuldung von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sei das Land so angreifbar wie kaum ein zweites in Europa, heißt es. Der Analyst Matthew Lynn schrieb in einem Artikel für das Internetportal „Marketwatch.com“ von einer „tickenden Zeitbombe“. Lissabon winkt derweil ab und verweist auf „volle Staatskassen“.
Aber da ist noch eine andere Gefahr, die der politischen Ansteckung. Bei den Wahlen im Herbst könnte Passos die Quittung für die vielen Missstände präsentiert bekommen. In Portugal gibt es zwar (noch) keine so starke Protestpartei wie Podemos im Nachbarland Spanien. Aber der sozialistische Oppositionsführer António Costa, der als gemäßigter als Podemos-Chef Pablo Iglesias gilt, wird immer mehr zu einem ernsthaften Rivalen für Passos.
Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Intercampus wird der 53-jährige Ex-Bürgermeister von Lissabon, der immer wieder das griechische Linksbündnis Syriza lobt, von 42,3 Prozent der Portugiesen unterstützt. Passos kommt demnach nur auf 31,6.
Bei der Debatte im Parlament warf die Opposition dem Regierungschef vor, er wolle Syriza aus wahltaktischen Gründen auflaufen lassen, damit bloß niemand auf die Idee komme, ein anderer Weg als die harte Sparpolitik sei möglich. Passos sei daher einer der eifrigsten Bremser eines Abkommens mit Athen. „Einfach lächerlich“, entgegnete der 50-Jährige. Passos hatte jüngst sein Credo kundgetan: „Es ist schwer, jemandem zu helfen, der sich nicht helfen lassen will.“