Tod im Exil Nordkorea nach mutmaßlichem Anschlag unter Verdacht
Kuala Lumpur (dpa) - Für den fülligen Mann mit der goldenen Rolex am Arm muss das anfangs alles Routine gewesen sein. Den Vier-Stunden-Flug von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur in die chinesische Sonderverwaltungszone Macau hatte Kim Jong Nam, ältester Halbbruder von Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un, schon viele Male gemacht.
In beiden Städten besaß er Immobilien. Vor dem Abflug um 10.00 Uhr morgens ging der 45-Jährige in Terminal 2 noch einige Geschäfte durch.
Dann war es mit der Routine vorbei. Plötzlich seien zwei asiatisch aussehende Frauen Ende 20 von hinten auf ihn zugekommen, berichteten am Mittwoch mehrere malaysische Zeitungen unter Berufung auf die Polizei. Eine der beiden habe Kim Jong Nam ein Tuch über Mund und Nase gedrückt. Andere wollen gesehen haben, wie ihm ein Spray ins Gesicht gesprüht wurde. Der genaue Hergang soll nun mit den Aufnahmen der Überwachungskameras geklärt werden, die auch in Kuala Lumpur überall im Flughafen hängen.
Eine der beiden Frauen ist auf einem Foto, das von der Polizei bereits veröffentlicht wurde, einigermaßen genau zu erkennen. Die mutmaßliche Killerin trägt Rock und ein langärmliges T-Shirt - zynischerweise mit dem Aufdruck „LOL“. Das steht für „Laughing Out Loud“, was sich mit „laut gelacht“ übersetzen lässt. Anschließend fuhren die zwei mit einem Taxi weg. Dem Fahrer zufolge gaben sie sich als Vietnamesinnen aus.
Spekuliert wird darüber, dass es nordkoreanische Agentinnen waren. Im Lauf des Mittwochs gab es Spekulationen darüber, dass die beiden Frauen Selbstmord begangen haben könnten. Am Abend (Ortszeit) meldete die malaysische Polizei jedoch, dass eine 28-jährige Frau mit einem vietnamesischen Pass festgenommen worden sei. Über Einzelheiten schwiegen sich die Behörden aus - wie so oft in diesem diplomatisch äußerst heiklen Fall. Nach weiteren Verdächtigen wurde nach einem Bericht der Zeitung „The Star“ noch gesucht.
Kim Jong Nam ging nach dem Überfall - der sich bereits am Montag ereignete, aber erst am Dienstag publik wurde - zunächst zum Informationsschalter. Dort klagte er über heftige Kopfschmerzen, weshalb er in die Ambulanz des Flughafens gebracht wurde. Weil sich sein Zustand immer mehr verschlechterte, wollten ihn die Ärzte ins Krankenhaus bringen. Auf dem Weg dorthin starb er jedoch.
Vermutet wird, dass der Nordkoreaner einem Giftanschlag zum Opfer fiel. Offiziell gab es dafür aber auch nach mehr als 48 Stunden keine Bestätigung. Klarheit soll nun die Obduktion des Leichnams bringen. Vorsicht ist in solchen Fällen angebracht.
Kim Jong Nam war der älteste Sohn des früheren Machthabers Kim Jong Il - einer von drei Söhnen, die der Diktator mit unterschiedlichen Frauen hatte. Die Mutter war Schauspielerin. Als Erstgeborener galt er in der einzigen kommunistischen Dynastie der Welt eine Zeit lang als potenzieller Nachfolger. Nach dem Tod des Vaters im Dezember 2011 wurde das jedoch Kim Jong Un, sein jüngerer Halbbruder.
In Nordkoreas Machtapparat spielte er aktuell keine Rolle mehr. Mehrmals wurden von ihm kritische Äußerungen über die Zustände in seiner Heimat kolportiert. Aber ein Regimegegner war er gewiss nicht. Seit der Hinrichtung seines Onkels Jang Song Thaek - bis dahin einer der engsten Berater von Kim Jong Un - soll er jedoch sehr in Sorge um sein Leben gewesen sein.
Doch warum hätte Nordkoreas Machthaber, wiewohl als brutal bekannt, seinen Halbbruder aus dem Weg räumen wollen? Kim Jong Nam lebte zuletzt überwiegend im Ausland, genoss nach Berichten südkoreanischer Medien das Leben. Zumindest öffentlich zeigte er keine Ambitionen, eine Führungsrolle in seinem Heimatland zu übernehmen.
Südkoreas Geheimdienstchef Lee Byong Ho äußerte die Vermutung, Kim Jong Un habe sich von „Paranoia“ leiten lassen, weniger von der Sorge um eine direkte Gefahr für seine Macht. Das Regime in Pjöngjang habe bereits 2012 einen Anschlagsversuch auf Kim Jong Nam unternommen. Doch Südkoreas Geheimdienst hat eine lange Geschichte, Kim Jong Un als instabile Persönlichkeit darzustellen.
Zudem wird im Süden spekuliert, ein Anschlag könnte mit den Beziehungen zu China zu tun haben. Eine Theorie besage, dass Kim Jong Un noch immer auf die offizielle Anerkennung durch Peking warte, schrieb die linksliberale Zeitung „Hankyoreh“. Demnach könnte Kim Jong Uns größte Furcht gewesen sein, China wolle eine „Marionetten-Regierung“ unter Kim Jong Nam etablieren.
Muss auch der mittlere von Kim Jong Ils drei Söhnen, Kim Jong Chol, jetzt um sein Leben fürchten? Ihm wird nachgesagt, keinerlei politischen Ehrgeiz zu haben. Auf die Frage, ob der Zweitgeborene das Land führen könne, sagte der geflüchtete frühere Vize-Botschafter Pjöngjangs in London, Thae Yong Ho, vor kurzem, Kim Jong Chol sei nur an Musik und Eric Clapton interessiert. „Ich bin sicher, in einem normalen Leben wäre er ein guter Profi-Gitarrist.“