PID bleibt nach emotionaler Debatte zugelassen
Berlin (dpa) - Paare dürfen Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung in Deutschland künftig auf Gendefekte testen lassen.
Der Bundestag stimmte nach einer gefühlsgeladenen Debatte frei von jedem Parteienstreit für die begrenzte Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) - mit überraschend deutlicher Mehrheit.
Der Gesetzentwurf pro PID der FDP-Abgeordneten Ulrike Flach und anderer kam am Donnerstag auf 326 Stimmen. Ein striktes Verbot befürworteten 260 Stimmen. Ein Kompromissentwurf war mit 58 Stimmen in zweiter Lesung gescheitert.
Ein Jahr nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem Ärzten der Gencheck erlaubt ist, stellte der Gesetzgeber erstmals Bedingungen auf für diese Tests an den Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib. Die PID bleibt grundsätzlich verboten - wird aber erlaubt, wenn wegen elterlicher Gen-Anlagen eine Tot- oder Fehlgeburt oder schwere Krankheit des Kindes wahrscheinlich ist. Beratung ist Pflicht, eine Ethikkommission muss zustimmen. Es wird von einigen Dutzend bis einigen hundert Fällen im Jahr ausgegangen.
In der Debatte ohne Fraktionszwang kochten die Gefühle hoch. PID-Befürworter stellten ins Zentrum, dass betroffene Paare nur so einschätzen könnten, ob sie ein gesundes Kind bekommen. Diese Entscheidungsfreiheit dürfe den Frauen nicht genommen werden. Die Gegner wandten ein, die PID könne nicht eingegrenzt werden - Embryonen würden wohl auch aussortiert, wenn Anlagen für spätere Krankheiten oder missliebige Eigenschaften entdeckt würden.
Flach warnte, ein Verbot würde vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Frauen würden dann gezwungen, zur Abwendung einer schweren Erbkrankheit gegebenenfalls abzutreiben. Umweltstaatssekretärin Katherina Reiche (CDU) wies darauf hin, dass bei schweren Konflikten der Mutter selbst Spätabtreibungen erlaubt seien. „Diese Eltern wünschen sich sehnlichst ein gesundes Kind“, mahnte Flach, „sie verstehen nicht, warum sie in Deutschland keine Hilfe bekommen.“
Für den Patientenbeauftragten Wolfgang Zöller (CSU) stand wie für andere PID-Gegner im Mittelpunkt: „PID bedeutet Selektion. Unter den künstlich hergestellten Embryonen werden die einen ausgewählt, die anderen verworfen.“ Wolfgang Thierse (SPD) warnte: „Wir ermöglichten eine Qualitätsbeurteilung menschlichen Lebens.“ Zöller warnte vor dem Druck auf Eltern, Musterbabys vorzuweisen.
Private Schilderungen luden die Debatte emotional auf. Mit tränenerstickter Stimme warb der Linken-Abgeordnete Steffen Bockhahn für die Zulassung. Das Elternglück, „das ich jetzt mit meiner Frau teilen kann“, sollten auch andere haben können. Maria Michalk (CDU) berichtete von Fehlgeburten. „Es ist ein großer Reichtum, auch solche Lebenserfahrungen machen zu müssen.“ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sprach von ihrem „lange Zeit unerfüllten Kinderwunsch“, der FDP-Mann Erik Schweickert von seinen Erfahrungen als Vater auf einer Kinderintensivstation.
Mit einer „Ethik des Helfens“ könne man sich aus den Zwängen der Natur befreien, beschwor Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze (CDU) die Abgeordneten. „Das ist die Vernunft, die uns Gott gegeben hat.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) warnte hingegen vor „brutalen Konsequenzen“, setze sich die „Ethik des Lebens“ nicht durch.
Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) wandte sich gegen Warnungen vor einem Dammbruch: „Niemand entscheidet sich leichtfertig für die künstliche Befruchtung und PID.“ SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann betonte: „Wer die Prozedur einer PID auf sich nimmt, tut das nicht, um ein Kind mit blauen Augen zu bekommen.“
Der SPD-Ethikexperte René Röspel warb erfolglos für den Kompromissantrag, nach dem die PID nur erlaubt sein sollte, wenn sich Embryos nicht entwickeln könne.
Eine zentrale Rolle spielten die Auswirkungen auf die Menschen mit Behinderungen. Ilja Seifert von den Linken mahnte: „Es gibt keine perfekten Menschen - niemand von uns ist das.“ Die PID nähre aber solche Illusionen. Mit der SPD-Abgeordneten Karin Evers-Meyer trat eine ehemalige Behindertenbeauftragte (2005 bis 2009) für eine PID-Zulassung ein: Beeinträchtigt werde das Leben Behinderter nämlich vor allem durch unzureichende Gleichstellung im Alltag.
Die Katholische Kirche reagierte sehr enttäuscht, die Evangelische Kirche skeptisch auf den Beschluss. Der Organisation pro familia geht die Zulassung nicht weit genug. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery versicherte: „Mit uns wird es kein Designerbaby geben.“