Frage der Verhältnismäßigkeit Polizeieinsätze beim G20-Gipfel
Hamburg (dpa) - Der Hamburger Polizei-Einsatzleiter beim G20-Gipfel, Hartmut Dudde, gilt als harter Hund, der seine Leute selbst bei geringsten Verstößen rigoros einschreiten lässt. Kritiker behaupten gar, sein Credo laute: „Erst zuschlagen, dann die Rechtslage prüfen.“
Doch auch wenn Innensenator Andy Grote (SPD) weiter klar hinter seinem Einsatzleiter steht und davon spricht, dass die Sicherheitsbehörden trotz Krawallen, Verletzten, Brandstiftungen und eingeschlagenen Scheiben alles unter Kontrolle hätten - Dudde scheint mit seiner bisherigen Taktik an seine Grenzen zu kommen.
Obwohl in Hamburg rund 20 000 Polizisten aus ganz Deutschland, Hubschrauber, Wasserwerfer und Räumpanzer im Einsatz sind, ist der Auftakt des ersten G20-Gipfels in Deutschland von schweren Krawallen überschattet. Immer wieder behindern Gipfelgegner durch Blockaden die Anfahrt der Staats- und Regierungschefs zur Innenstadt. Und sie sind aus ihrer eigenen Sicht dabei sogar so erfolgreich, dass das Partnerprogramm wegen der angespannten Sicherheitslage verändert werden muss. Die Ehefrau von US-Präsident Donald Trump, Melania Trump, kann wegen der Ausschreitungen zunächst nicht teilnehmen.
Dudde setzt dennoch weiter auf Stärke. Am Freitag um 8.47 Uhr fordert Hamburgs Polizeispitze „alle Unterstützungskräfte der Bundesländer zur Einsatzbewältigung des G20-Gipfels an“. Die Begründung im Schreiben der Polizei: „Im Stadtgebiet Hamburg kommt es zu einer Vielzahl von Straftaten und Gefahren für Leib und Leben.“
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der anders als inzwischen sein grüner Koalitionspartner weiter zum G20-Gipfel in der bisherigen Form steht, spricht von „hochaggressiven, gewalttätigen Straftätern“. Diese brächten die Sicherheitskräfte in Bedrängnis und forderten die Gesellschaft in einer Weise heraus, „die für niemanden akzeptabel sein kann“. Die Täter nähmen sehr bewusst in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen könnten.
Das sehen die Gipfelgegner genauso - allerdings genau umgekehrt. Denn aus ihrer Sicht ist die Polizei mitverantwortlich für die Krawalle, die am Donnerstagabend nach der von Wasserwerfern gewaltsam aufgelösten „Welcome to Hell“-Demonstration ihren Anfang nahmen. „Das musste der Polizei klar sein, dass marodierende Kleingruppen durch die Stadt ziehen und anfangen, die Stadt zu zerlegen. Wie kann man so blöd sein, die Demonstration so zentral anzugreifen?“, sagt der Anwalt des linksautonomen Kulturzentrums „Rote Flora“, Andreas Beuth.
Natürlich ist allen bewusst, dass die aus dem In- und Ausland angereisten Autonomen nicht zum Austausch von Blumensträußen auf die Straße gehen. Aber ist es deshalb gerechtfertigt, eine Demonstration von mindestens 12 000 Teilnehmern mit Wasserwerfern und Pfefferspray aufzulösen, weil nicht jeder der laut Polizei rund 1000 Vermummten im Schwarzen Block seine Hasskappe ablegt?
Ist es gerechtfertigt, auch gegen zufällig im Weg stehende normale Demonstranten mit einer Härte vorzugehen, durch die es nach Ansicht von Christoph Kleine von der G20-Plattform auch zu Todesfällen hätte kommen können? Ist es gerechtfertigt, mit einer Polizeikolonne von acht bis zehn Wagen mitten in die friedliche Demonstration „Recht auf Stadt“ zu fahren, um dann sofort Wasserwerfer einzusetzen, wenn Demonstranten darauf mit Flaschenwürfen reagieren? Die Rechtsanwältin Gabriele Heinecke vom Anwaltlichen Notdienst nennt das schlicht eine „Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand“ und einen „massiven Verstoß gegen die Verfassung“.
Für sie wie auch für G20-Aktivist Kleine kann das nur eine Konsequenz haben: Bürgermeister Scholz, Innensenator Grote und Einsatzleiter Dudde müssen ihren Hut nehmen. Autonomen-Anwalt Beuth scheint das dagegen inzwischen egal zu sein: „Für uns ist es so: Es findet kein Dialog mehr statt“, sagt er in einem Ton, der auch heißen könnte: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Die nächste Gelegenheit dazu ist bereits am Samstag: Zur Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ werden bis zu 100 000 Teilnehmer erwartet.