Pressestimmen zu Libyen
Berlin (dpa) - Gaddafi ist noch nicht gestellt, das despotische Regime in Libyen scheint dennoch besiegt. Über Gaddafis letzten Gewaltaufruf im Radio, den Weg des neuen libyschen Übergangsrats oder den internationale Gipfel in Paris: die internationale Presse hat darüber berichtet.
Die Deutsche Presseagentur dokumentiert eine Auswahl.
Zur Diskussion um Wirtschaftsinteressen im Libyen-Konflikt schreibt die linksliberale britische Zeitung „The Independent“ am Freitag:
„Die Libyer müssen selber entscheiden, welche Firmen Verträge bekommen, um die Ölindustrie wieder aufzubauen. Libyen braucht Investitionen aus dem Ausland. Was es nicht braucht ist die Entdeckung, dass ein Diktator nur deshalb gestürzt wurde, damit die Wirtschaft so geformt werden kann, dass sie ausländischen Wirtschaftsinteressen entspricht.“
Die konservative französische Tageszeitung „Le Figaro“ schreibt am Freitag zu den Wirtschaftsinteressen des Westens in Libyen:
„Die libyschen Ölreserven haben ein solches Ausmaß, dass der schwierige Machtwechsel im Gaddafi-Land unausweichlich von einem Kampf um Verträge begleitet sein wird. Der Militäreinsatz ist noch nicht abgeschlossen, da klagen manche schon Frankreich dafür an, von seiner Rolle während des Konflikts profitieren zu wollen, um sich den Löwenanteil am libyschen Reichtum zu sichern. Der Krieg sei nur geführt worden, um sich den Zugriff auf das schwarze Gold zu sichern, die Konkurrenten auszubooten und die Baustellen beim Wiederaufbau in Beschlag zu nehmen, heißt es. (...) Es wäre naiv anzunehmen, dass die verschiedenen Staaten, die den Rebellen geholfen haben, nicht auch versuchen werden, ihre eigene Interessen zu verteidigen. (...) Aber wenn der libysche Markt die einzige Sorge der westlichen Staaten gewesen wäre, hätten sie besser daran getan, mit Gaddafi auszukommen, als ihn zu stürzen. Ihm war es zumindest nicht peinlich, die Ressourcen seines Landes auszubeuten.“
Zur Libyen-Konferenz in Paris schreibt die linksliberale spanische Zeitung „El País“ (Madrid) am Freitag:
„Nicolas Sarkozy vermied auf der Pariser Konferenz die Gefahr, vorzeitig eine Siegerpose einzunehmen. Frankreichs Staatspräsident hatte - nach seiner Unbeholfenheit in Tunesien - im Kampf um die Überwindung der Libyen-Krise eine führende Rolle gespielt. In Libyen folgte die Weltgemeinschaft nicht dem schlechten Beispiel, das George W. Bush im Irak abgegeben hatte. Der damalige US-Präsident hatte voreilig die Mission für erfüllt erklärt und damit maßgeblich zum Nachkriegschaos beigetragen.
Dass im Libyen-Konflikt im letzten Moment auch Russland und Deutschland die internationale Operation billigten, ist nur eine Randnotiz. Die politischen Führer dieser Länder sollten aus ihren Fehlern lernen.“
Die liberale Tageszeitung „Der Standard“ beschäftigt sich am Freitag mit dem Verhältnis der internationalen Gemeinschaft zum libyschen Übergangsrat:
„Bei allem Respekt für die libysche Souveränität: Die internationale Gemeinschaft hat gewissermaßen eine moralische Verantwortung für diesen Übergangsrat. Alles, was er tut, wird auf sie zurückfallen. Ebenso wichtig, wie dass die Nato den militärischen Teil der Intervention bald für abgeschlossen erklärt, ist, dass ein ziviles Engagement aufrechtbleibt. Damit ist nicht die Jagd nach den besten Ölverträgen gemeint, die bereits eingesetzt hat. Diese birgt die Gefahr, dass bald der Übergangsrat die Staaten kontrolliert und nicht umgekehrt.“
Zur Pariser Konferenz für Libyen schreibt die „Basler Zeitung“ am Freitag:
„In die guten Absichten mischen sich in unübersehbarer Weise aber auch weit weniger uneigennützige Interessen. Nichts illustriert dies besser als der Kampf der großen Erdölkonzerne um die zukünftigen Verträge für die Förderrechte in Libyen. Auch hier wünschen die Kriegsgewinner den Lohn für ihre Solidarität. Die Zeitung "Libération" veröffentlichte gestern ein Dokument, in dem der libysche Übergangsrat bereits am 3. April Frankreich global 35 Prozent des libyschen Rohöls zusichert. Was ein solches Versprechen wert ist, wird sich erst später herausstellen. Die Publikation aber am Tag der Konferenz zeigte das Engagement der französischen Gastgeber für die libysche Demokratie auch von der weniger präsentablen Seite.“