Report: Angst und Hoffnung auf Zypern
Nikosia (dpa) - „Es ist eine Katastrophe. Die haben uns die Lebensgrundlage weggenommen“, klagt ein Hotelier in Nikosia bitter. In die Erleichterung darüber, dass der drohende Staatsbankrott abgewendet wurde, mischen sich bei vielen Zyprern Angst und Verzweiflung.
Das Fernsehen sendet immer wieder die Aussage von Zyperns Finanzminister Michalis Sarris, in Brüssel sei ein für die Insel katastrophaler Austritt aus dem Euroland vermieden worden. „Jetzt versprechen sie (die Euro-Finanzminister) uns zu helfen“, heißt es im Fernsehen.
Dass es wirklich so kommen wird, glaubt auf Zypern nicht jeder. „Hilfe? Ich sehe es kommen, wir werden bald wie die Griechen und die Spanier 30 Prozent Arbeitslosigkeit haben“, sagt der Filialleiter einer Bank im Zentrum der Hauptstadt Nikosia, bevor er sich abwendet, um den Geldautomaten wieder zu füttern. Seit eineinhalb Wochen sind die Banken inzwischen geschlossen - Bargeld gibt es nur am Automaten. Am Dienstag sollen die ersten Banken wieder öffnen - allerdings nur
kleinere Genossenschaftsbanken und die drittgrößte Bank des Landes - die Hellenis Bank. Die großen Banken bleiben noch bis Donnerstag zu - wegen „Systemanpassungen“. Die Regierung will zudem eine Reihe von Einschränkungen für den Kapitalverkehr bekanntgeben. Darunter soll ein monatlicher Höchstbetrag sein, den jeder Sparer abheben kann.
Der Hotelier Giannis Sophokleous ist verzweifelt: „Wie soll ich mein Hotel reparieren, wenn zwangsweise das Geld halbiert wird, das ich auf der Bank habe“, fragt er. Evangelia, die in einem Hotel im Zentrum Nikosias arbeitet, hat Angst um ihren Arbeitsplatz. „Die Negativ-Schlagzeilen könnten auch die Touristen vertreiben“, fürchtet sie.
Das Medienecho ist gespalten. „Katastrophale Erpressung durch die Troika (EU-EZB-IWF)“, lautet der Tenor in der kommunistischen Zeitung „Charavgi“. Die Kommunisten sind die zweitstärkste Kraft im Parlament. Die Zeitung gibt die Linie für die Parteimitglieder vor: „"Tiefer Schnitt", um das Bankensystem zu retten.“
„Thriller (in Brüssel) mit massiver Erpressung“, titelt die größte Zeitung Zyperns, „Fileleftheros“. Wie hoch die Zwangsabgabe bei der größten Bank Zyperns, der Bank of Cyprus, genau sein wird, ist noch unklar. „Fileleftheros“ berichtet, es würden wahrscheinlich 30 Prozent sein. „30 Prozent? Dafür habe ich 20 Jahre lang gearbeitet und ich bin kein Russe, kein Oligarch und habe nur ein kleines Schuhgeschäft“, schluchzt der Inhaber eines Ladens an der zentralen Ledras-Einkaufsstraße von Nikosia. „Ich hoffe auf den einen oder anderen Kunden“, sagt der Schuhhändler. Sein Geschäft hat geöffnet, obwohl an diesem Montag in Zypern Nationalfeiertag ist - zum Gedenken an den Aufstand für die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich 1821.
Die konservative Presse reagiert zurückhaltend auf die nächtliche Krisensitzung: „Zwangsweises Abkommen“, titelt das konservative Blatt „Simerini“. Präsident Nikos Anastasiades habe keine andere Wahl gehabt. Die Alternative habe geheißen: Rettung oder Sturz in den Abgrund. Übereinstimmend berichten alle Zeitungen, der erst vor einem Monat gewählte Staatspräsident sei während der Verhandlungen so wütend gewesen, dass er den Vertretern von Europäischer Union (EU), Weltwährungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) mit seinem Rücktritt gedroht habe, weil sie keinen seiner Vorschläge akzeptieren wollten.
Viele Zyprer, aber auch Ausländer bekommen in diesen Tagen E-Mails von ihnen unbekannten Unternehmen, die versprechen, „binnen einer Stunde“ ein Konto in einem anderen großen und sicheren Euroland für sie zu eröffnen. Viele Insulaner fragen sich auch, ob und in welcher Form die sogenannten Oligarchen aus Russland und der Ukraine tatsächlich von der Brüsseler Einigung betroffen sein werden - oder ob die ihr Geld nicht schon längst aus der Mittelmeerinsel abgezogen haben.