Report: Chodorkowski im Mauermuseum erwartet
Berlin (dpa) - „Chodorkowski? Ein Pole?“ Der junge Mann, der in einer historischen US-Uniform am früheren Berliner Grenzübergang Checkpoint Charlie steht, schüttelt den Kopf. Michail Chodorkowski kennt er nicht.
Und er weiß auch nicht, dass der derzeit berühmteste russische Ex-Gefangene an diesem Sonntag im Mauermuseum gegenüber erwartet wird. In der privaten Gedenkstätte gibt es seit Jahren eine Chodorkowski-Ecke. Zwei Räume geben Auskunft über die Zeit seit der Verhaftung des Kremlkritikers 2003. Bilder zeigen ihn während des Prozesses in einem Käfig, in einer Vitrine liegt die Jacke, in der er vor zehn Jahren verhaftet wurde, daneben Seiten aus dem handgeschriebenen Entwurf seines Schlussplädoyers.
„Chodorkowskis Mutter war schon mehrmals da und auch sein Sohn“, erzählt Museumschefin Alexandra Hildebrandt. Jetzt will der freigelassene Regierungskritiker selbst kommen und an diesem Sonntag eine Pressekonferenz geben.
Alexandra Hildebrandt freut sich. „In erste, zweiter, dritter und hundertster Linie freue ich mich, dass er frei ist. Und natürlich auch, dass er zu uns kommt“, sagt sie am Samstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Freiheit ist das höchste Gut. Wenn man auf freiem Fuß lebt, unterschätzt man das oft“, sagt Hildebrandt, die kurz vor der Maueröffnung nach Berlin kam.
In den hinteren Räumen des Museums geht es am Samstag ungewöhnlich geschäftig zu. Es wird gesaugt, geputzt und geräumt. Durch die Ausstellungsräume drängen sich wie immer die Touristen aus aller Herren Länder. Sie interessieren sich vor allem für die Mauer, die von 1961 bis 1989 genau an dieser Stelle die Stadt teilte.
Die Räume zu Chodorkowski wirken fast etwas verlassen. Wie nebenbei liegt eine frische Zeitung vom Freitag dort, dem 20. Dezember 2013. „Putin begnadigt seinen wichtigsten Widersacher“, steht in dicken Lettern auf der Titelseite.
Warum Chodorkowski ausgerechnet in des Museum kommt? „Wohl weil wir die Ausstellung haben. Unser Haus steht für Freiheit“, sagt Hildebrandt, die den 50-Jährigen, der einst als reichster Mann Russlands galt, persönlich noch nicht kennt. Am Sonntag will sie aber dabei sein, wenn er in ihrem Haus über seine Zukunftspläne sprechen will.
Im Roten Rathaus in Berlin wird man nicht so begeistert sein, dass Chodorkowski ausgerechnet das private Mauermuseum für seinen ersten öffentlichen Auftritt nach der Freilassung ausgesucht hat. Kritiker werfen dem Museum einen undifferenzierten Blick auf die Zeiten des Kalten Krieges vor. Die offizielle Mauergedenkstätte Berlins liegt weit entfernt an der Bernauer Straße.
Vor dem Mauermuseum in der Friedrichstraße ist noch immer nichts von den Vorbereitungen auf den Gast zu spüren. Touristen lassen sich für zwei Euro mit den verkleideten US-Soldaten fotografieren und wollen lieber wissen, wo denn nun noch die Mauer zu sehen sei.
Von Chodorkowski hätten sie gehört, sagt ein junger Mann aus dem Kaukasus, der mittlerweile in Hannover lebt. „Wir waren am Adlon, haben ihn aber nicht gesehen“, sagt Alexander (30), der mit Aljona (27) aus Weißrussland hier ist. Ob er sich freut, dass Chodorkowski jetzt frei ist? „Natürlich“, sagt der junge Mann. „Aber in Geschichte kenn' ich mich nicht so aus“.