Report: Für Veganer ist Dioxin kein Thema
Frankfurt/Main (dpa) - Dioxin in Eiern und Fleisch? Für eine wachsende Zahl von Menschen ist das überhaupt kein Problem. Sie essen ohnehin nicht nur kein Fleisch und keinen Fisch, sondern verzehren überhaupt keine tierischen Produkte - keine Eier und keine Kuhmilch, keinen Käse und keinen Quark, keine Butter und keine Gelatine.
Die Vegane Gesellschaft Deutschland ist erst wenige Wochen alt, registriert nach eigenen Angaben aber - wie auch der Vegetarierbund Deutschland - ein immenses Interesse. Täglich kämen neue Mitglieder hinzu, schlössen sich Ortsgruppen zusammen, bildeten sich „Küchenfreundschaften“, bei denen Neu-Veganer von Alt-Veganern kochen lernen. Der Gesellschaft zufolge ernähren sich in Deutschland bis zu eine Million Menschen vegan, laut der Nationalen Verzehrsstudie II, die 2008 veröffentlicht wurde, sind es nicht mehr als 80 000.
Einer von ihnen ist Christian Vagedes aus Oldenburg. Der 37-Jährige lebt seit sechs Jahren streng vegan, weil er „irgendwann kapierte, dass auch für Eier oder Molkereiprodukte Tiere sterben müssen“. Als er erfuhr, dass in Eierfabriken männliche Küken „vermust oder vergast“ werden, schmeckte ihm das Frühstücksei nicht mehr. Auf Tierprodukte zu verzichten empfindet er nicht als Einschränkung - schließlich gebe es für fast alle tierischen Lebensmittel vegane Ersatzprodukte. Vagedes' Milch ist aus Soja, sein Käse aus Tofu, sein Fleisch aus Weizeneiweiß. Dass der Massenanbau zum Beispiel von Soja ebenfalls negative Auswirkungen auf die Umwelt hat, muss er hinnehmen.
Die Bewegung entstand in den 40er Jahren in England als Abspaltung der Vegetarier-Bewegung. Der Name leitet sich von „vegetable“, englisch für pflanzlich, her. Strenge Veganer lehnen Tierprodukte nicht nur als Nahrungsmittel ab - sie tragen im Sommer Schuhe aus Stoff und im Winter aus Plastik, sie kaufen keine Wollpullover und verwenden nur Creme ohne Wollfett.
Davon leben Spezialläden wie der Frankfurter „Vegan Shop“. In dem wohnzimmerkleinen „Fachgeschäft für Naturprodukte ohne tierische Inhaltsstoffe“ gibt es Getreidekaffee und Wascherde, Pflanzenschwämme und „tierversuchsfreie“ Kosmetik.
Nicht mit allen Produkten kann der Laie etwas anfangen. Was bitte ist „kaskadenfermentiertes Rechtsregulat“? Antwort: Es dient zum Ausgleich von Enzymdefiziten. Das trifft den Punkt der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Die Bonner Ernährungsexperten sehen vegane Ernährung „ein bisschen kritisch“ und raten zumindest bei Schwangeren, Stillenden und Kindern „vorsichtshalber“ davon ab. Wer sich vegan ernähre, habe es deutlich schwerer, sich ausreichend mit wichtigen Nährstoffen zu versorgen, sagt Sprecherin Antje Gahl. Verteufeln will sie diese Lebensweise aber nicht: „Für gesunde Erwachsene mit ausreichendem Ernährungswissen ist das schon machbar.“
Eine, die es ausprobiert hat, ist die Autorin Karen Duve („Regenroman“). Im Zweimonatsrhythmus testete sie verschiedene Ernährungs- und Lebensweisen und schrieb darüber ein Buch: „Anständig essen. Ein Selbstversuch“. Auch Fruktarierin war sie vorübergehend und aß nur, was die Pflanze „freiwillig“ spendet. Am Ende des Experiments nahm sie sich vor, nur noch zehn Prozent der Fleisch-, Fisch- und Milchprodukte zu konsumieren wie zuvor. Fast zeitgleich kam der US-Schriftsteller Jonathan Safran Foer („Alles ist erleuchtet“) mit „Tiere essen“ auf den Markt, einem „Plädoyer für ethisches Handeln beim Essen“.
Ethische Erwägungen sind das eine Argument - gesundheitliche Gründe das andere. Die Frankfurter „Naturbar“ ist ein vegetarisches Restaurant, das auch viele vegane Gerichte auf der Karte hat: Gemüsepfanne mit Quinoa, Buchweizensuppe, Linsencurry, Kichererbsen- Spinat-Pfanne. „Die Nachfrage nach veganen Gerichten steigt stetig“, sagt Besitzer Omar Laalou, der den Laden seit den 70ern betreibt. Es kämen viele Menschen, die gegen Milchprodukte allergisch sind, nichts Scharfes essen dürfen oder einen hohen Cholesterinspiegel haben.
Auch Ex-US-Präsident Bill Clinton kann der Ernährungsweise etwas abgewinnen: „Ich ernähre mich überwiegend von Bohnen, Hülsenfrüchten, Gemüse und Obst“, und er trinke jeden Morgen eine Milch, die aus Mandeln gepresst wird, sagte er dem Sender CNN. Laalou selbst gehört nicht zum Club. Zwar „respektiert“ er die Wünsche seiner Gäste, kann sie aber nicht immer nachvollziehen. Stirnrunzelnd liest er die Zutatenliste auf einem sieben Euro teueren Döschen mit veganem Parmesan-Ersatz (Sojamehl und Chemie) und wirft sie der Kellnerin zu: „Schmeiß weg!“[