Report: Grenzfragen an die Kanzlerin
Berlin (dpa) - Bei einer Bundeskanzlerin scheint es keine Tabus zu geben. Dass ihr aus Rücksicht auf die Trauer um ihren am Freitag gestorbenen Vater kritische Fragen zum Wahlausgang in Mecklenburg-Vorpommern erspart werden würden, hatte Angela Merkel nicht erwartet.
Und vermutlich gar nicht gewollt.
Wie nach anderen Landtagswahlen auch trat die CDU-Vorsitzende und Regierungschefin am Montag bewusst selbst vor die Kameras, um Stellung zu beziehen zum schlechten Wahlergebnis ihres CDU-Landesverbandes, zum Scheitern der FDP und zum Zustand von Schwarz-Gelb im Bund. Sie räumte Schwächen im Wahlkampf ein und versuchte mit einer Disziplin, die man eisern nennen kann, den Blick ihrer Partei und Regierung nach vorn zu richten. Und dann wollte ein Boulevard-Journalist wissen, ob der Trauerfall sie bedrücke.
Bedrückende Stille und eine seltene, stillschweigende Solidarität mit der Kanzlerin machten sich breit. Blicke gingen zu Boden, Köpfe wurden geschüttelt. Privatmenschen würde eine solch rhetorische Frage nicht gestellt. „Ich möchte dazu nur sagen, dass jeder, der etwas Ähnliches in seiner Familie erlebt hat, weiß wie das ist“, antwortete die 57-Jährige. Als sie hinzufügte, das sei Privatsache, wurde ihre Stimme leise. Die Politik erschien hier grenzenlos und gnadenlos. Zeit für Trauerarbeit bekommt eine Kanzlerin nicht.
Man dürfe nicht immer von Schicksalwochen sprechen und die Lage dramatisieren, forderte Merkel und meinte die bevorstehenden Abstimmungen zum Euro-Rettungsschirm EFSF. Am Montagabend beriet sie noch mit EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy über Vorschläge für ein besseres Krisenmanagement in der Euro-Zone.
Sechs Landtage wurden in diesem Superwahljahr 2011 nun schon neu gewählt. Die siebte und letzte Wahl ist in zwei Wochen in Berlin. Die Bilanz der CDU ist außer in Sachsen-Anhalt, wo sie klar erneut den Regierungsauftrag bekam, und in Rheinland-Pfalz, wo sie gut zulegen konnte, schlecht. Das Stammland Baden-Württemberg ging verloren, Hamburg auch. In Bremen rutschten die Christdemokraten auf Platz drei. Kein Rückenwind für Merkels im Bund so schwierig zu führende schwarz-gelbe Koalition mit einer FDP, der auch der Neustart mit Philipp Rösler an der Parteispitze nicht geglückt zu sein scheint. Auch die Prognosen für die Wahl in Berlin versprechen keine Wende.
Merkel mahnte: „Man darf nicht jede Landtagswahl zu einer stellvertretenden Bundestagswahl machen. Ansonsten können wir überhaupt nichts mehr entscheiden.“ Die Liste, die Schwarz-Gelb noch abarbeiten muss, ist lang. Und vor allem schwer. In der Union gibt es große Bedenken, ob Deutschland mit den Milliarden-Hilfen für hoch verschuldete Euro-Länder den richtigen Weg geht. Die Abstimmung im Bundestag über den geplanten neuen Euro-Rettungsschirm EFSF ist Ende September. Bekommt Merkel keine eigene Mehrheit, gilt sie als empfindlich geschwächt, auch weil der Beschluss nicht der letzte zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise im Bundestag ist.
In krisenhaften Situationen fragen die Bürger nach der Wirtschaftskompetenz, sagte Merkel. „Das Thema Euro bewegt die Leute. (...) Da erwarten die Menschen mit Recht Lösungen.“ Je unübersichtlicher das Vorgehen der europäischen Staats- und Regierungschefs zur Stabilisierung der Währung wirkt, je mehr in immer kürzeren Abständen nachgebessert und verändert wird, desto größer dürfte die Unsicherheit in der Bevölkerung werden. Und das umso mehr, so lange in der Regierungskoalition in Deutschland keine Einigkeit herrscht. „Der Sommer ist nicht nur harmonisch verlaufen“, räumte die Kanzlerin ein. Und: „Streit ist nicht hilfreich. (...) Wir müssen unsere Arbeit machen.“
In ganz anderem Zusammenhang sagte Merkel: „Es gibt immer wieder die Versuchung, einfache Antworten auf komplizierte Fragen zu geben.“ Merkel warnte davor. Sie meinte die rechtsextreme NPD, die in Mecklenburg-Vorpommern im Gegensatz zur FDP wieder in den Landtag kam.