Report: Karlsruhe stärkt die Abgeordneten
Karlsruhe (dpa) - Der Bundestagsabgeordnete muss ein seltsames Wesen sein: Von Karlsruhe aus betrachtet, erscheint er ziemlich groß - in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts spielen das Parlament und seine Mitglieder regelmäßig eine zentrale Rolle.
Sie sollen die europäische Einigung kontrollieren und auch die Maßnahmen zur Rettung klammer Euro-Staaten. In Berlin hingegen scheinen die Abgeordneten zu schrumpfen - so sehr, dass die Verfassungsrichter sie nun ermahnen mussten, ihre eigenen Rechte wahrzunehmen.
Im Gesetz zum Euro-Rettungsschirm hatte das Parlament Entscheidungen über wichtige Hilfsmaßnahmen auf ein kleines, geheim tagendes Gremium übertragen - nach der Zahl der Abgeordneten auch „Neuner-Gremium“ genannt. Gerade einmal zwei von 620 Abgeordneten hatten sich vor Gericht dagegen gewehrt: Auf eigenes Risiko und eigene Kosten reichten die SPD-Parlamentarier Peter Danckert und Swen Schulz Klage in Karlsruhe ein. Dabei dürfte schon das Anwaltshonorar ein gutes Stück im fünfstelligen Bereich liegen.
Aus Sicht der beiden Antragsteller hat sich das Risiko gelohnt: Die Richter erklärten die Regelung über das Neuner-Gremium zum größten Teil für verfassungswidrig, weil sie Rechte der Abgeordneten verletze. „Das ist ein großer Erfolg für das Parlament“, sagte Peter Danckert. Einen Seitenhieb konnte sich der 71-Jährige aber nicht verkneifen: „Es gibt offenbar Kollegen, die sich nicht so sehr für ihre Rechte interessieren oder die sich von ihren Fraktionsführungen haben überrumpeln lassen.“
Sein Kollege Schulz ergänzt: „Ich denke, dass wir mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen eindeutigen Auftrag bekommen haben, selbstbewusst zu agieren, uns nicht alles bieten zu lassen von der Bundesregierung und unsere Rechte, aber auch Pflichten als Vertreter des Volkes wirklich wahrzunehmen.“
Das Urteil, meint der Linken-Rechtspolitiker und ehemalige BGH-Richter Wolfgang Neškovic, sei „ein deutlicher Weckruf an den Deutschen Bundestag, sich endlich aus der selbstverschuldeten parlamentarischen Unmündigkeit zu befreien. Das Verfassungsgericht tritt damit einem schleichenden Prozess der Selbstentmachtung des Parlaments entgegen.“
Dabei hat das Gericht durchaus anerkannt, dass in manchen Fällen die Spielregeln der globalen Finanzwirtschaft über die Gesetze der parlamentarischen Demokratie bestimmen: Nämlich dann, wenn es um den Aufkauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt geht. Hier hat besonders der Auftritt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Eindruck gemacht: Er hatte in der mündlichen Verhandlung eindringlich davor gewarnt, dass solche Maßnahmen wirkungslos wären, wenn auch nur die Planung vorzeitig bekannt wird. Hier machten die Richter einen Kompromiss mit der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens: In solchen Fällen, aber auch nur dann, darf das Gremium anstelle des Parlaments entscheiden.
So zeigten sich hinterher auch Vertreter der Koalition zufrieden: „Ich finde die Entscheidung richtig und gut“, sagte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), „sie bringt uns im Parlamentarismus wieder ein gutes Stück weiter und fordert jeden Abgeordneten auf, seine Rechte wahrzunehmen.“
Ein wenig beachteter Aspekt der Entscheidung stieß allerdings auf Aufmerksamkeit in der SPD-Fraktion. Wie es dort heißt, hatte man sich auf eine Art Wette eingelassen: Sollten Danckert und Schulz vor Gericht Erfolg haben, würde die Fraktion den beiden im Nachhinein die Kosten ersetzen. Mit gewisser Erleichterung sieht man deshalb in der Fraktion die Ziffer 3 des Urteilstenors: „Die Bundesrepublik Deutschland hat den Antragstellern ihre Auslagen zu erstatten.“