Report: Koalition unter Vorbehalt
Berlin (dpa) - Links sitzt der schwergewichtige SPD-Chef, rechts der riesige CSU-Vorsitzende, in der Mitte wie ein Prellbock die Kanzlerin. Das schwarz-rote Spitzen-Trio am Tag eins des Koalitionsvertrags.
Angela Merkel verspricht, die große Koalition werde die großen Aufgaben meistern. Sigmar Gabriel sagt, die große Koalition habe einen großen Vertrag für die „kleinen Leute“ geschrieben. Und Horst Seehofer beteuert, er habe diese große Koalition von Anfang an gewollt. Vor allem aber ist sie erst einmal dies: eine große Koalition unter Vorbehalt.
Denn die SPD-Spitze lässt ihre Parteimitglieder nun über das 185 Seiten dicke Vertragswerk abstimmen. Da hat die Union mit 41,5 Prozent die Wahl gewonnen und die SPD mit 25,7 Prozent weit auf Abstand gehalten. Da haben mehr als 100 Menschen von CDU, CSU und SPD fünf Wochen verhandelt, am Tag und in der Nacht. Sie haben gerungen, gestritten, manchmal getobt und mit Scheitern gedroht. Und nun hat das letzte Wort die SPD-Basis, deren Votum am 14. Dezember feststehen soll.
Bis dahin wollen CDU, CSU und SPD verheimlichen, wer Minister bleibt oder wird, und ob sich am Zuschnitt der Ministerien etwas ändert. Gabriel will am Mittwoch glauben machen, Sozialdemokraten wollten ausdrücklich über Inhalte und nicht über Posten entscheiden. Als ob es für sie gar nicht von Interesse wäre, wer von ihren Spitzenpolitikern eine große Koalition stärken, führen, inspirieren könnte. Die ungewöhnliche Mitgliederbefragung nennt Gabriel innerparteiliche Demokratie. Er will sich nicht näher dazu äußern, ob das künftig immer so bei großen Projekten der SPD sein wird.
Und wie findet die weiterhin nur geschäftsführende Bundeskanzlerin es, dass es auch mehr als zwei Monate nach der Wahl immer noch nicht richtig losgehen kann? Die 59-Jährige antwortet in dem selten dermaßen überfüllten Saal der Bundespressekonferenz in Berlin so, als könnte sie nichts und niemand aus der Fassung bringen. „Warum soll ich denn nicht warten, die 14 Tage? Ich sitze ruhig und mache meine Arbeit.“ Regierungsbildungen in anderen Ländern dauerten viel länger.
Dann verblüfft sie mit einer simplen Rechnung, mit der sie Gabriel
einen großen Gefallen tut. Normalerweise entschieden weitaus weniger Menschen über einen Koalitionsvertrag als nun beim SPD-Votum, sagt Merkel. Etwa Vorstände oder Parteitage (wie es die Union macht). Das seien nicht ein paar Hunderttausend, sondern nur ein paar Hundert Menschen. Politiker seien es gewohnt, Mehrheiten zu sichern. „Insoweit ist das ein völlig normaler Vorgang.“
Seehofer verkneift sich hingegen nicht den Rat, Gabriel solle auf den Zustand der CSU hinarbeiten: Der Vorsitzende erläutert den Koalitionsvertrag in den Gremien und alle sind einverstanden.
Alle drei Parteichefs zeigen sich zufrieden mit dem in der Nacht ausgehandelten Kompromiss für ein gemeinsames Bündnis. Jede Seite hat etwas gewonnen und verloren. Die SPD hat den Mindestlohn bekommen, die CSU die Maut, die CDU die Mütterrente. Nicht erreicht haben die Sozialdemokraten eine generelle doppelte Staatsbürgerschaft, die Christsozialen bundesweite Volksentscheide und die Christdemokraten die Deckelung der zusätzlichen Ausgaben auf 15 Milliarden Euro. Es werden acht Milliarden Euro mehr. Der große Wurf ist das Papier wohl nicht geworden. Dafür müssten zu viele Kompromisse geschlossen werden.
Der Wirtschaftsflügel der Union befürchtet Arbeitsplatzverluste, die Junge Union eine Schröpfung der Rentenkasse. Merkel macht klar, dass ihr doch schon jetzt die beschlossenen Rentenverbesserungen Kopfzerbrechen bereiten. Sie schlügen sehr stark zu Buche, die neue Regierung müsse aufpassen, dass sie die Rentenkassen nicht überfordere, mahnt Merkel.
Und auch über die Vereinbarung zur Pkw-Maut ist sie nicht glücklich. Im Wahlkampf hatte sie erklärt, mit ihr werde es keine Pkw-Maut für Ausländer geben. Nun soll dazu im nächsten Jahr ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Wenn Gesetzentwürfe gut seien, würden sie in ihrer Regierung auch verabschiedet, sagt Merkel. Es hört sich distanziert an. Seehofer sieht sich jedenfalls genötigt, zu betonen: „Wir haben die Pkw-Maut (...) Der Text ist ziemlich eindeutig.“
Gabriel korrigiert nach diesen Koalitionsverhandlungen seine Auffassung, dass die Schwesterparteien CDU und CSU eine Einheit seien. „Diese Kombination gibt es nicht, habe ich gelernt.“ Es gebe eine CDU und eine CSU. Und Merkel erregt noch ein bisschen Aufsehen mit ihrem grünen Blazer und der schwarzen Hose, verhandelt doch die CDU derzeit mit den Grünen in Hessen über eine schwarz-grüne Regierung. Grün sei die Farbe der Hoffnung, sagt sie am Mittwoch in Interviews dazu.