Report: Kurden-Solidarität und Misstrauen gegen Ankara
Suruc (dpa) - Jeden Tag ist der Kurde Nuri Yavuzer in der Stadt Suruc an der türkisch-syrischen Grenze und hilft, wo er kann. Er verteilt Essen an die Flüchtlinge, versucht Unterkünfte zu organisieren oder hört einfach nur zu.
Der 42-jährige Bauunternehmer stammt ursprünglich aus dem türkischen Suruc, wohnt jedoch selbst in der etwa vierzig Kilometer entfernten Stadt Sanliurfa. Als er die Bilder von den Flüchtlingen sah, habe er nicht einfach nur dasitzen können, sagt er. „Kobane ist unser Herz. Für uns existieren die Grenzen nicht. Die syrischen Kurden sind meine Verwandten und Geschwister.“
Seit dem Vormarsch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind rund 140 000 Menschen aus der Region Ain Al-Arab, die die Kurden Kobane nennen, auf die ebenfalls von Kurden bewohnte türkische Seite der Grenze geflohen. In der Stadt Suruc mit ihren ursprünglich rund 100 000 Einwohnern seien nun alleine 40 000 Flüchtlinge, schätzt eine Helferin. Noch immer übernachten sie vor allem auf der Straße, in Moscheen oder in Privathäusern.
Bauunternehmer Yavuzer hat 35 Flüchtlinge in seinem Haus in Suruc aufgenommen. Eigentlich war das Haus vermietet, doch Yavuzer rief kurzerhand bei seinen regulären kurdischen Mietern aus Suruc an und fragte, ob sie sich vorübergehend eine andere Unterkunft suchen könnten. „Die haben das verstanden“, sagt Yavuzer. Schließlich sei es für türkische Kurden viel leichter, eine Wohnung zu finden, als für die kurdischen Flüchtlinge aus Syrien, die oft auch kaum Geld hätten.
Die Solidarität der Kurden in der Türkei ist groß - das Misstrauen und die Unzufriedenheit mit der türkischen Regierung allerdings auch: „Einen Großteil der Hilfe organisieren wir selbst, nicht etwa die Regierung in Ankara“, sagt Yavuzer. „Uns Kurden hat noch nie jemand geholfen.“ Er ist überzeugt, dass die türkische Regierung gar nichts dagegen habe, dass IS die kurdische Region in Syrien angreife. „Die Regierung hat Angst vor einem Land Kurdistan.“
Yavuzers Vater Mohammed stimmt ihm zu. Der 72-Jährige zeigt auf seine traditionelle Kleidung und sagt: „Früher durfte ich das hier nicht tragen. Unsere Kleidung, unsere Sprache, einfach alles war verboten. So leicht vergessen wir das nicht.“ Nach dem Friedensprozess der Kurden mit der türkischen Regierung gefragt, zucken beide nur mit den Achseln. „So etwas existiert nicht“, sagt Nuri Yavuzer.
Auch Beshat Adigüzel denkt, dass die Kurden sich auf niemanden verlassen können. Deswegen will der 45-Jährige nach Syrien und Ain al-Arab verteidigen. Adigüzel sitzt mit Freunden in einem Teegarten in Suruc und ist frustriert, weil ihn die türkischen Soldaten nicht über die Grenze lassen. Am vergangenen Freitag sei er aus dem etwa vier Stunden Fahrt entfernten Diyarbakir gekommen, erzählt er. Inzwischen seien etwa 1000 Kurden aus Diyarbakir in Suruc. Sie übernachten in Zelten in der Nähe der Grenze oder bei Freunden.
Dreimal habe er tagsüber versucht, über die Grenze nach Syrien zu gelangen, sagt Adigüzel. Dreimal hätten ihn die türkischen Soldaten an der Grenze mit Tränengas vertrieben. Nachts hätten es aber mindestens 2000 türkische Kurden bereits nach Syrien geschafft, erzählt Adigüzel stolz. Ein Teil von ihnen habe sich den kurdischen Volksverteidigungseinheiten angeschlossen, die gegen IS kämpfen. Mit ihren leichten Waffen könnten sie gegen die hochgerüsteten IS-Kämpfer jedoch kaum etwas ausrichten.
„Uns gibt der Westen keine Waffen, weil die (kurdische Arbeiterpartei) PKK auf der Terrorliste steht“, sagt Adigüzel. Die Luftangriffe der Amerikaner findet er zwar gut, doch Adigüzel zweifelt. „Wir trauen den Amerikanern nicht. Sie verfehlen die Stellungen von IS.“ Ob er auch versuchen werde, nachts im Schutze der Dunkelheit über die Grenze zu gehen? Adigüzel grinst und schaut auf seine Hände. Das muss als Antwort reichen.