Report: Opposition fordert Russland ohne Putin
Moskau (dpa) - Auch der schwere Gewitterregen hält Zehntausende Kremlgegner nicht von ihrem Protest gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin ab. „Russland ohne Putin“ und „Putin ist ein Dieb“, skandiert die unüberschaubare Menge im Moskauer Stadtzentrum immer wieder in lauten Sprechchören.
Die Opposition feiert sich am Unabhängigkeitstag selbst - sie hat sich durch neue drakonische Strafen nicht einschüchtern lassen.
Als zwischendurch kurz die Sonne aufblitzt, bricht Jubel unter den etwa 50 000 Demonstranten aus, die nach Angaben der Organisatoren gekommen sind. Die Menschen schreien ihre Wut auf das System Putin laut heraus. Und sie sind stolz, dass sie dem verschärften Versammlungsgesetz getrotzt haben. Das sieht deutlich höhere Geldstrafen für Verstöße bei Demonstrationen vor.
„Das eigentliche Problem ist dabei nicht das Gesetz, sondern die Anwendung in unserem faschistischen Staat“, schimpft der Hochschuldozent Pawel. Vor Gericht hätten die Bürger keine Chance, ihr Recht durchzusetzen. Erniedrigt und entmündigt fühle er sich, und dagegen wolle er mit seiner Teilnahme protestieren. Den letzten Ausschlag hätten die Durchsuchungen bei prominenten Regierungsgegnern am Vortag gegeben. Das sei reine Provokation gewesen, um die Leute einzuschüchtern, glaubt Pawel.
Mit seinem Kollegen Alexander rettet er sich in kurzen Sprüngen von einem Ladeneingang zum nächsten vor dem Platzregen, der sie auf der Moskauer Flaniermeile Twerskaja erwischt hat. Alexanders Erwartungen sind so trüb wie das Wetter: „Ich setze keine großen Hoffnungen in den Protestmarsch. Ich gehe hin, weil meine innere Stimme es von mir fordert“, sagt der 46-Jährige. Gerade im wissenschaftlichen Bereich, in Medizin und Bildung seien die Zustände eine Katastrophe. „Reformen sind längst überfällig“, meint er. Doch mit Putin seien sie nicht durchzusetzen.
Aber der starke Mann im Kreml zeigt sich von den Protesten unbeeindruckt. Insgesamt 12 000 Polizisten sind am Nationalfeiertag in der ganzen Stadt im Einsatz - die Führung setzt auf Abschreckung. Zugleich spricht Putin von Dialog und Kompromissbereitschaft. Miteinander zu reden und sich zu respektieren, sei äußerst wichtig.
Für viele Bürgerrechtler sind dies nur hohle Phrasen: Denn zeitgleich zur Demonstration müssen mehrere Oppositionsführer wie der Blogger Alexej Nawalny zur Befragung bei der Ermittlungsbehörde erscheinen. Ein schmutziger Trick sei das, um die Teilnahme der redegewandten Kremlkritiker zu verhindern, schimpfen sie. Die Behörden erklären hingegen, sie hielten sich strikt an das Gesetz.
Regierungsgegner sind empört. Einschüchtern wolle die Staatsmacht sie mit den überraschenden Razzien im Morgengrauen. Doch es könnte noch härter werden. Die Durchsuchungen seien nur der Anfang, im Kreml habe sich der radikale Flügel durchgesetzt, berichtet die regierungskritische Internetzeitung „gazeta.ru“ unter Berufung auf anonyme Quellen in der Verwaltung des Präsidenten.
Nicht nur der Anti-Korruptionskämpfer Nawalny, der als Kandidat für die nächste Präsidentschaftswahl 2018 gehandelt wird, oder der sich oft radikal gebärdende Führer der Linken, Sergej Udalzow, seien im Visier der Staatsmacht. Auch an die liberalen Dumaabgeordneten Ilja Ponomarjow und Gennadi Gudkow hätten die Ermittler „viele Fragen“, schreibt „gazeta.ru“.
Doch mit dem harten Vorgehen könnte der Kreml genau das Gegenteil erreichen, meinen Experten. In der Tat: Mehr Regierungsgegner als erwartet sind auf der Straße. Auch die 40-jährige Kommunistin Tanja aus der Stadt Kostroma, rund sechs Autostunden von Moskau entfernt, ist da. Mit ihr kamen auch zwei Liberale und ein Nationalist.
„Wir streiten nicht über die Ideologie, uns verbindet das gemeinsame Ziel nach Veränderungen im Land“, sagt Tanja. Es reiche nicht, wenn Duma-Abgeordnete und Minister ihre Sessel tauschten, es sei Zeit für neue Gesichter und Ideen. „Putin weigert sich, Veränderungen vorzunehmen. Wir weigern uns, unsere Forderungen danach aufzugeben“, sagt sie.