Report: Streik-Chaos bleibt meist aus
Frankfurt/Köln (dpa) - Für Uwe Beyer kommt der Kaffee zu spät. Um 7.00 Uhr stellen die Bahn-Mitarbeiter in den roten Westen drei große Pötte auf einen Klapptisch vor dem Serviceschalter im Frankfurter Hauptbahnhof - aber da hat der Mann aus Dresden seinen selbstgekauften Becher längst ausgetrunken.
Um 6.18 Uhr wollte er eigentlich den Intercity in Richtung Heimat nehmen, endlich nach Hause nach zehn Tagen auf Montage in Karlsruhe. Jetzt muss er warten, weil die Lokführer seit 4.00 Uhr wieder streiken. Er ist wütend - obwohl er selbst mal einer von ihnen war.
„Das war anders angekündigt“, schimpft er in seiner orangefarbenen Arbeitsweste. „Die wollten den Personenverkehr doch in Ruhe lassen.“ Vor zehn Jahren sei er als Lokführer bei der Deutschen Bahn entlassen worden, erzählt Beyer. „Damals hat diese Gewerkschaft keinen Finger für die Lokführer krumm gemacht.“ Wie auch immer, vielleicht könne er ja einen Zug um 7.20 Uhr nehmen, sagt er. Vielleicht. „Auf jeden Fall kauft meine Nachbarin vorsichtshalber schon mal für mich ein.“
Zum vierten Mal innerhalb von gut zwei Wochen standen am Donnerstag bundesweit Züge still. Stark betroffen waren nach Angaben der Bahn vor allem Berlin, Hannover, München, Nürnberg, Stuttgart und die S-Bahn Rhein-Neckar. Trotzdem blieb das befürchtete Chaos aus. An den meisten Bahnhöfen war viel weniger los als normalerweise im Berufsverkehr. Das galt auch für die Pendlerhochburg im Rhein-Main-Gebiet, wo sich viele Reisende schon auf die Streiks eingestellt hatten. So konnte von großen Verkehrsproblemen in der Banken-Metropole trotz verstopfter Einfallstraßen keine Rede sein.
Unverständnis kommt in Frankfurt trotzdem auf: „Wenn es um die sechs kleinen Anbieter geht, dann kann die Deutsche Bahn doch eigentlich gar nichts dafür“, sagt eine 60 Jahre alte Frankfurterin, die jeden Morgen mit dem Zug nach Heidelberg fahren muss. Sie hat sich vorher nicht informiert. „Ich bin auf Risiko hergekommen“, sagt sie - und hat Glück. Ihr IC fährt pünktlich um 5.56 Uhr ab.
Auch in Ostdeutschland - wo einer der Streikschwerpunkte liegen sollte - ist die Lage am Morgen eher entspannt. Der Leipziger Hauptbahnhof ist wie leergefegt. „Offiziell fallen alle Züge aus“, ruft ein Service-Mitarbeiter der Bahn in die kleine Menschentraube um ihn herum. „Wir müssen eben versuchen, das Beste aus der Situation zu machen“, sagt er. Der Bahnsteig ist leer, einige Pendler warten an den Bus-Haltestellen. „Ich wusste ja, dass sie streiken und habe auf Arbeit Bescheid gesagt, dass ich wohl später komme“, sagt ein Pendler mit Ziel Chemnitz. „Die Bahn bietet mir oft Gründe, mich zu ärgern, aber Streik gehört nicht dazu. Da bin ich solidarisch.“
Nur selten sind die Verhältnisse chaotisch - in Berlin etwa, wo derzeit die weltgrößte Reisemesse ITB läuft. Dort weichen am Morgen viele Besucher auf die U-Bahn-Linie 2 aus. Hunderte Fahrgäste drängten sich am Bahnhof Zoo in die schon überfüllten Wagen, viele müssen auf den nächsten oder übernächsten Zug warten. In den überfüllten Waggons drängen sich Messegäste mit Rollkoffern und Laptop-Taschen - Stadtplan entfalten unmöglich. „Japanische Verhältnisse“, seufzt ein Geschäftsmann. Rund um das Messegelände wimmelt es von voll besetzten Taxis, an den Ampeln ist Geduld gefragt. Manche Besucher steigen früher aus und setzten zum Laufschritt in die Hallen an, um ihre Termine noch einzuhalten.
Am Kölner Hauptbahnhof drängen sich die Menschen im Morgengrauen vor der Anzeigetafel. Es ist Pendlerzeit - aber die Anzeige verheißt nichts Gutes: Acht Züge fallen aus, viele andere kommen bis zu 90 Minuten später, einige sind „unbestimmt verspätet“. Aus den Lautsprechern klingen Durchsagen im Minutentakt. Dazu gibt es Aushänge und zusätzliche Informationsstände, vor denen sich kleinere Schlangen gebildet haben.
Ob Fernzug oder Regionalbahn - die Streiks betreffen alle Zugtypen und Strecken. Dazwischen läuft es in Köln aber auch immer wieder planmäßig. „Ich will in 20 Minuten nach Hannover und bis jetzt sieht es so aus, als ob daraus was wird“, strahlt die 23-jährige Silvia Meissheimer, die am Gleis sechs auf ihrem Koffer sitzt. An die Streiks habe sie gar nicht mehr gedacht, als sie am Morgen aus dem Haus gegangen sei.
Andere müssen ihre Pläne komplett ändern, da in einige Richtungen nichts mehr geht: Vor der Anzeigetafel steht ein Mann mit blauer Handwerkerhose, die schwarze Mütze tief ins Gesicht gezogen. „Ich komm' hier nicht weg, ich bin gestrandet“, brummt er in sein Handy. „Kannst Du im Büro Bescheid sagen?“ Beim nächsten Anruf wirkt sein Gesicht sofort fröhlicher: „Schatz, ich komme wieder nach Hause.“