Analyse Scholz im Glück

Berlin (dpa) - Olaf Scholz spricht von „Gedanken, die man sich machen kann“. Denn die Zahlen, die der Bundesfinanzminister im Matthias-Erzberger-Saal präsentiert, haben es in sich.

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63,3 Milliarden Euro mehr an Steuereinnahmen für Bund, Länder und Kommunen bis 2022 - das hat der Arbeitskreis Steuerschätzung akribisch errechnet. Davon 10,8 Milliarden Euro mehr für den Bund - und der SPD-Politiker Scholz hat sich schon mal Gedanken gemacht, wie man das Geld verwenden könnte.

Punkt 1: Eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen ab 2019, durch eine Abschmelzung der sogenannten kalten Progression. Der Effekt entsteht, wenn Bürger bei Lohnerhöhungen durch einen höheren Steuertarif gar nicht mehr Geld in der Tasche haben und sogar noch draufzahlen. Weil parallel auch Waren und Lebensmittel durch die Inflation teurer werden. Durch eine Verschiebung des Steuertarifs kann den Bürgern etwas mehr Geld verschafft werden, das will Scholz nun angehen. Punkt 2: Mehr Geld für den Breitbandausbau und die Internetausrüstung von Schulen.

Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, mahnt Scholz, sich die Steuerentlastung nicht zu sehr auf die eigene Fahne zu schreiben. Sein CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble habe bereits 2015 die Praxis eingeführt, „jährlich den Steuertarif im Ausmaß der Inflationsrate zu verschieben“, betont Rehberg.

Scholz lässt den Umfang noch offen, steht nun aber unter dem Druck, die Bürger um mehr als nur ein paar Euro im Monat zu entlasten. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, findet, es sei höchste Zeit für viel größere Schritte: „Das Geld für ein komplettes Soli-Aus für alle ist seit langem da - die öffentlichen Kassen sind voll.“

Aber Scholz gibt ganz wie Schäuble den Mahner, er denkt ja gern in großen Linien. Und er ist auch der Vizekanzler in Angela Merkels neuer Regierung. Er erinnert an die Verwerfungen durch den Abschied der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Allein ein steigender Ölpreis kann auch der deutschen Wirtschaft schon schwer zusetzen. „Man kann gar nicht vorsichtig genug sein“, sagt Scholz. Dennoch wird für dieses Jahr bei der Steuerschätzung ein Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent und um 2,1 Prozent für das kommende Jahr angenommen. Scholz betont: „Die Entwicklung muss nicht so bleiben, wie sie ist.“

Scholz will die Kasse daher nicht zu weit öffnen, er erinnert an die einst von Merkel ins Feld geführte „schwäbische Hausfrau“. Knatsch in der großen Koalition ist schon programmiert: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hatten sich bitter beklagt, dass bisher für die Jahre 2019 bis 2022 zu wenig Geld für ihre Ressorts vorgesehen sei. Ihnen stellt Scholz nur eine kleine Aufstockung in „überschaubarem Umfang“ in Aussicht.

Scholz wird ja schon als „Olaf Schäuble“ bezeichnet, weil er wie Schäuble auch in Europa mit angezogener Handbremse unterwegs ist: Er ist zwar bereit, wegen des EU-Austritts Großbritanniens mehr zu schultern, zehn Milliarden pro Jahr könne man „ungefähr bewältigen“. Aber wie ein Dogma betont Scholz, er sei deutscher Finanzminister.

Und in Deutschland sitzt der großen Koalition die AfD im Nacken - viele Bürger sind dagegen, dass immer mehr Geld nach Brüssel fließt. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sieht eine „Steuerzahler-Ausbeutung nach Gutsherrenart“. Der Staat müsse den Bürgern mehr vom ihrem hart erarbeiteten Geld zurückgeben. „Steuergelder fließen nicht von alleine; die Bürger erarbeiten sie, der Staat zieht sie ein.“

So ist Scholz zwar im Moment ein Minister im Glück, aber während die einen endlich eine große Steuerreform wollen, sehen die anderen zu wenig Investitionen in die Zukunft und Europa, gerade in Zeiten, in denen das transatlantische Bündnis mit den USA zu zerbrechen droht. Und in Deutschland sind viele Brücken, Schulen und Straßen marode, das Internet lahmt - aber einen großen neuen Wurf wagt er bisher nicht.

„Der Scholz glaubt wirklich, wenn er CDU-Politik macht, gewinnt die SPD Wähler in der Mitte“, sagt ein einflussreicher Genosse. Der vom Hof vertriebene Ex-SPD-Chef und Fast-Außenminister Martin Schulz dürfte mit Argwohn beobachten, wie bei seinem Herzensthema „Mehr Europa“, auch durch mehr Geld aus Berlin, gerade eher gebremst wird.

Scholz erlebt glückliche Tage im Amt, seine Beliebtheit steigt, er will zeigen, dass auch ein Sozialdemokrat als strenger Kassenwart mit Geld umgehen kann. Angesichts des auch in der SPD konstatierten Imageproblems von SPD-Chefin Andrea Nahles könnte der Vizekanzler der nächste SPD-Kanzlerkandidat werden. Aber das ist noch sehr weit weg.

Die „schwarze Null“, ein Haushalt ohne neue Schulden, wird er in diesem Jahr wohl als erster „roter“ Finanzminister schaffen. Der seit Überwindung der Finanzkrise brummenden Wirtschaft sei Dank - mit 2,384 Millionen rutschte die Zahl der Arbeitslosen zuletzt auf den niedrigsten April-Stand seit der deutschen Wiedervereinigung, das bedeutet höhere Steuereinnahmen. Aber wie lange ist die Lage noch so?

Nur bis Juni ist die EU vorerst weiter ausgenommen von Strafzöllen, mit denen US-Präsident Donald Trump die eigene Wirtschaft schützen will. Der Konflikt um den Iran und ein drohender Handelskrieg, das sind dunkle Wolken für die Konjunktur.

Wie schnell die Lage kippen kann, zeigten die Bankencrashs 2008. Die Wirtschaft vermisst eine richtig große Steuerreform - wegen der drastischen Senkung der Sätze in den USA durch Trumps Regierung fürchtet sie Wettbewerbsnachteile.

„Da das Steuersäckel des Staates nun noch praller gefüllt ist, kann die logische Antwort nur Entlastung und damit mehr Schub für Wachstum und Wettbewerb heißen“, betont Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.