Manövriermasse Zuwanderer Trump versucht sich im Polit-Schach

Washington (dpa) - Der politische Kalender in Washington für den September ist randvoll: Mauerbau, Schuldenobergrenze, Steuerreform - die Parlamentarier in Abgeordnetenhaus und Senat haben dicke Bretter zu bohren.

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Präsident Donald Trump hat ihnen nun - ohne Not - noch eines hinzugefügt: Er kündigte einen seit fünf Jahren geltenden Kompromiss aus der Feder seines Vorgängers Barack Obama auf, der es Teilen der zweiten Generation von illegalen Einwanderern ermöglicht, legal einer Arbeit in den USA nachzugehen.

Trump macht so die Migrationspolitik zur innenpolitischen Manövriermasse. Mit der Taktik, alles mit allem zu verknüpfen, hat er zunächst Erfolg. Völlig überraschend überrumpelte der Präsident auch noch seine eigene Partei, als er mit den Demokraten einen Deal zur Schuldenobergrenze aushandelte, und die Hilfen für Flutopfer in Texas gleich mit in das Paket packte. Niemand in Washington schließt aus, dass auch eine demokratische Haltung zu einer Neuregelung der „Dreamer“-Problematik Teil der hinter verschlossenen Türen getroffenen Abmachung ist.

800 000 Menschen, im Jahr 2012 zwischen 15 und 36 Jahre alt, sind davon betroffen. Neue Anträge sollen nicht mehr angenommen werden, von 2018 an entfällt der bisher geltende Schutz und die Menschen können ausgewiesen werden. Auch wenn Trumps Sprecherin Sarah Sanders einräumt, dies sei keine Priorität. Die US-Wirtschaft reagierte entsetzt: Gut ausgebildete Arbeitskräfte könnten ohne Aussicht auf adäquaten Ersatz verloren gehen. Mexiko streckte bereits die Hand aus. Man werde Wege finden, die Menschen zu integrieren, hieß es von dort.

Ein Aufschrei hallte sofort auch durch das politische Washington. Im ganzen Land gingen Menschen auf die Straße, Obama meldete sich zu Wort, 15 Bundessstaaten und die Hauptstadt Washington reichten Klage ein. John McCain, als republikanischer Senator 2012 strikt gegen das Obama-Programm, ist jetzt dafür. „Ich bin sehr dafür, dass Kinder, die ohne ihr eigenes Zutun illegal ins Land gebracht wurden, jetzt nicht in Länder geschickt werden, die sie gar nicht kennen.“ Viel war die Rede von amerikanischen Werten - niemand solle vor die Tür gesetzt werden, wenn es dafür keinen Grund gibt.

Für Trump war es eine Entscheidung mit langem Vorlauf und viel Kalkül. Mit der Beendigung des „Dreamer“-Programmes konnte er seine langsam bröckelnde Wählerbasis am rechten politischen Rand zufrieden stellen - schließlich müsse der amerikanische Arbeiter künftig weniger Niedriglohn-Konkurrenz fürchten. Außerdem kann Trump mit seiner Entscheidung im Kongress Druck machen.

Sechs Monate hätten die Parlamentarier nun Zeit, eine Lösung zu finden, twitterte Trump. „Wenn sie es nicht schaffen, werde ich mich der Sache noch einmal annehmen“, betonte der Präsident. Aus dem konservativen Spektrum erntete er zwar viel, aber nicht ausschließlich Ablehnung. Politik nach Recht und Gesetz wurde von dort gefordert.

Trump spielt mit hohem Einsatz. Wenn der Deal aufgeht, kann er am Ende kann er als derjenige dastehen, der das Reizthema „Dreamer“ zur Lösung gebracht hat - oder aber auch als großer Verlierer.

Ganz nebenbei nutzte Trump das Migranten-Thema, um seinem Vorgänger Obama ordentlich den Kopf zu waschen. Der Hass auf Obama und die acht Jahre seiner liberalen Politik ist wohl der kleinste gemeinsame Nenner, den Trump nach einem furios verlaufenen August derzeit noch mit seiner Partei, den Republikanern, hat. Er braucht diesen Nenner, um eine Basis für die Herausforderungen des Septembers zu schaffen.

Obamas Entscheidung von 2012 sei nicht verfassungskonform, sie richte sich gegen geltendes Recht, sei kurzsichtig, emotional, parteipolitisch aufgeladen, hieß es seitens Trump. Und außerdem: Obama habe seine Kompetenzen überschritten. Schließlich mache in den USA Gesetze immer noch der Kongress und nicht der Präsident. Und genau dieser Kongress solle nun endlich tätig werden und das ganze Dilemma ein für alle Mal lösen.

Obama hat zum Thema eine signifikant andere Sichtweise: Trumps Entscheidung sei nicht nur „unmenschlich“, sondern auch ein „Eigentor“, schrieb Obama auf Facebook. Jahrelang habe er selbst darauf gewartet, dass der Kongress endlich ein Gesetz verabschiede, das das Problem der zweiten Einwanderergeneration löse, schrieb er: das Problem junger Leute, die als Kinder von ihren Eltern über die Grenze gebracht wurden, die kein anderes Heimatland haben als die USA, die im Zweifel nicht einmal eine andere Sprache sprechen als Englisch, die Treue zur amerikanischen Fahne geschworen hätten und amerikanische Werte hochhielten, oft nicht einmal wüssten, dass sie auf dem Papier keine Amerikaner seien. Doch der von Republikanern dominierte Kongress konnte sich nicht durchringen - wohl auch mit Blick auf jeweils anstehende Wahlen.

Dass dies ausgerechnet jetzt, im lichterloh brennenden und chaotisch erscheinenden Washingtoner Politgefüge gelingen soll - Zweifel erscheinen angebracht. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, lobte sogleich Trumps Entscheidung, die der stramm konservative Justizminister Jeff Sessions zuvor hatte verkünden dürfen. Obama habe den Kongress umgangen, als er 800 000 Einwandererkindern das Bleibe- und Arbeitsrecht ermöglichte, hieß es in einer Stellungnahme McConnells. „Das Handeln von Präsident Trump von heute korrigiert diesen historischen Fehler.“

Viele republikanische Parlamentarier, vor allem, wenn sie große Latino-Bevölkerungsanteilen in ihren Wahlkreisen haben, werden jetzt geschäftig. Sogar Gesetzesentwürfe mit Passagen, die deutlich über die bisherige Regelung hinausgehen, machen die Runde. Die Parlamentswahlen 2018 werfen ihre Schatten voraus. Die Demokraten versuchen ihrerseits, Trumps Schritt für sich auszuschlachten. „Die Entscheidung war herzlos und hirnlos“, sagte der demokratische Senats-Fraktionschef, Charles Schumer. Danach machte er mit Trump bei den Schulden gemeinsame Sache.