Türkei verlangt zusätzliche drei Milliarden
Brüssel (dpa) - Überraschende Vorschläge der Türkei zum Entschärfen der Flüchtlingskrise haben beim Krisengipfel mit der EU zu Streit geführt. Mehrere Delegationen äußerten Bedenken, berichteten Diplomaten in Brüssel.
Eine rasche Abmachung sei deshalb höchst unwahrscheinlich.
Ein Sprecher des ungarischen Premiers Viktor Orban teilte mit, Orban habe das Vorhaben abgelehnt, Flüchtlinge direkt aus der Türkei - also auf geordnetem Weg - in die EU kommen zu lassen.
Der maltesische Premier Joseph Muscat sagte, die EU brauche mehr Zeit, um einen neuen Pakt mit der Türkei zu schließen. Einen Deal könnte es nach ergänzenden Angaben dann frühestens beim nächsten Gipfel Ende kommender Woche (17./18. März) geben - also nach den innenpolitisch wichtigen Wahlen in drei deutschen Bundesländern an diesem Sonntag.
Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verlangte von den Europäern zusätzlich zu den bereits vereinbarten drei Milliarden Euro noch einmal die gleiche Summe. Das Geld soll für syrische Flüchtlinge in der Türkei fließen.
Ankara bot im Gegenzug an, die EU könne künftig alle illegal einreisenden Migranten wieder in die Türkei zurückschicken - also nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch Syrer.
Flüchtlingen soll der Anreiz genommen werden, sich Schlepperbanden anzuvertrauen. Damit die Türkei mit der Last nicht alleine bleibt, will sie aber für jeden zurückgebrachten Migranten einen auf legalem Weg in die EU schicken. Diplomaten sprachen von der „Eins-zu-Eins“-Formel.
Davutoglu hatte in der Nacht vor dem Gipfel stundenlang mit Kanzlerin Angela Merkel beraten.
Die Kanzlerin wehrte sich zu Gipfelbeginn gegen Forderungen, die sogenannte Balkanroute für Flüchtlinge für geschlossen zu erklären - und widersprach damit einem Entwurf für die Abschlusserklärung. Merkel sagte: „Es kann nicht darum gehen, dass irgendetwas geschlossen wird.“
Der Überraschungscoup von Davutoglu brachte die gesamte Gipfelplanung durcheinander - das eintägige Treffen wurde bis in den späten Abend hinein verlängert. Davutoglu sagte, das Ziel des neuen Vorschlags sei, „Leben von Flüchtlingen zu retten und diejenigen zu entmutigen, die die verzweifelte Lage der Flüchtlingen missbrauchen und ausnutzen wollen“.
Die EU-Staaten stellten sich auf weitere politische Zugeständnisse an die Türkei ein, unter anderem auf ein Vorziehen von geplanten Reiseerleichterungen für türkische Staatsbürger auf Juni. Sie sollten eigentlich frühestens im Oktober kommen. Allerdings pocht Ankara nach Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu nicht nur auf Visaerleichterungen, sondern auf Visafreiheit.
Die EU hatte der Türkei bereits im vergangenen November drei Milliarden Euro zur besseren Versorgung syrischer Flüchtlinge im Land zugesagt. Nach UN-Schätzungen leben heute 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei - und es werden monatlich mehr.
Über die Türkei kommen derzeit die meisten Flüchtlinge nach Griechenland von dort aus über die Balkan-Staaten in Länder wie Deutschland. Wegen Grenzkontrollen, unter anderem in Mazedonien, passierten zuletzt jedoch weniger Menschen diesen Weg. In Griechenland strandeten Zehntausende Menschen.
Im Gegensatz zu Merkel verteidigten Länder an der Balkanroute die Formulierung, diese Route für geschlossen zu erklären. „Ich bin sehr dafür, mit klarer Sprache allen zu sagen: Wir werden alle Routen schließen, die Balkanroute auch“, sagte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, dessen Land Tageskontingente für Flüchtlinge eingeführte.
Belastet wurden die Verhandlungen durch das Vorgehen der türkischen Justiz gegen die größte Oppositionszeitung „Zaman“. Sowohl türkische Oppositionspolitiker als auch Staats- und Regierungschefs warnten vor einem Verrat europäischer Prinzipien. „Es kann (...) nicht sein, dass wegen der Flüchtlingsfrage andere Werte, die für Europa wichtig sind, wie Pressefreiheit, einfach über Bord geworfen werden“, sagte Luxemburgs Premier Xavier Bettel.
Die Nato begann unterdessen damit, direkt an den Schleuserrouten in der Ägäis Kriegsschiffe zu positionieren. Der von der Bundeswehr bereitgestellte Einsatzgruppenversorger „Bonn“ fuhr in das schmale Seegebiet zwischen der türkischen Küste und der griechischen Insel Lesbos ein. Mit dem Einsatz will die Allianz zur Eindämmung des unkontrollierten Zustroms von Flüchtlingen in Richtung Westeuropa beitragen.