Flüchtlinge Merkel wirbt um mehr Zeit für Flüchtlingspakt mit Türkei
Brüssel/Berlin (dpa) - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wirbt ungeachtet des Drucks der Landtagswahlen an diesem Sonntag um mehr Zeit für den angestrebten europäischen Flüchtlingspakt mit der Türkei.
„Manchmal könnte es schneller gehen. Aber ich glaube, insgesamt bewegt sich die Sache in die richtige Richtung“, sagte sie nach einem EU-Gipfel mit der Türkei im Südwestrundfunk. Für eine endgültige Vereinbarung bis zum nächsten Gipfel am 17. und 18. März gebe es noch viel Arbeit zu tun. Kernpunkte sind neue Vorschläge zur Rücknahme von Flüchtlingen, die Türkei will zugleich mehr Milliardenhilfe der EU. An Merkels Vorgehen wird aber auch in Deutschland weiter Kritik laut.
EU-Gipfelchef Donald Tusk sagte: „Ich habe keinen Zweifel, dass wir den endgültigen Erfolg erzielen werden.“ Die „Tage der ungeregelten Migration“ in die EU seien vorüber. Bei dem eintägigen Sondergipfel in Brüssel hatte der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu ein weitreichendes Paket vorgelegt, das viele EU-Chefs überrascht hatte.
Das Angebot sieht vor, dass die EU alle illegal ankommenden Migranten von den griechischen Inseln wieder in die Türkei zurückschicken kann. Zugleich sollen aber ebenso viele Flüchtlinge legal aus der Türkei in die EU kommen. Unklar blieb, welche EU-Staaten sie aufnehmen könnten. Zudem fordert Ankara eine Verdoppelung der EU-Hilfszusagen für in der Türkei lebende Flüchtlinge von drei Milliarden auf sechs Milliarden Euro. Dazu gab es kein klares Signal des EU-Gipfels.
Merkels Partner in der großen Koalition reagierten gegensätzlich auf den Zwischenstand. SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach von einem wichtigen Schritt nach vorn. Die angestrebten Vereinbarungen seien der beste Weg, „um den Menschenhändlern und Schleppern das Handwerk zu legen“. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer äußerte sich kritisch. „Im Moment haben wir da einen gemischten Gefühlshaushalt.“ Leistung und Gegenleistung müssten übereinstimmen. Bei der von der Türkei geforderten vollen Visafreiheit für Reisen in die EU habe man „sehr große Bedenken“.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) setzt auf eine Schwächung der rechtspopulistischen AfD durch eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. „Ich hoffe, dass das auch der AfD ein Stück das Wasser abgräbt.“ Er hoffe, „dass die Stimmung in einer tief verunsicherten Bevölkerung einfach besser wird.“ Bei den Wahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt an diesem Sonntag steht die Alternative für Deutschland laut Umfragen vor dem Einzug in die Landesparlamente. Linke-Chef Bernd Riexinger warf der EU vor, Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten in der Türkei zu ignorieren. Wegen ihrer Uneinigkeit sei sie nun erpressbar.
Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras warnte vor Euphorie. Zahlreiche Schritte seien noch nötig. Er verwies auf die „tragischen Bilder“ im Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo Tausende Flüchtlinge festsitzen. Nach starkem Regen war der Boden in dem Areal sehr schlammig. Im Hafen von Piräus kamen am Dienstag 800 Migranten mit einer Fähre von den Inseln Lesbos und Chios an.
Österreich will an seiner restriktiven Flüchtlingspolitik festhalten. Kanzler Werner Faymann (SPÖ) legte Deutschland nahe, ebenfalls eine Asylbewerber-Obergrenze auszurufen. Solange der „deutsche Nachbar keine Zahl nennt, die er sich vorstellen kann, die er tatsächlich schaffen kann, (...) bleibt das ein Hin- und Her-Geschiebe von Problemen zwischen nationalen Grenzen und Einzellösungen“, sagte er in Wien. Analog zu der von Österreich festgelegten Quote könnte ein Limit für Deutschland bei 400 000 Asylbewerbern liegen. Merkel lehnt eine nationale Obergrenze, die auch die CSU verlangt, strikt ab.
Die Pläne zum Zurückschicken von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei stoßen beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) auf Bedenken. „Kollektive Abschiebungen sind verboten“, sagte der Europa-Bürodirektor Vincent Cochetel in Genf. Migranten dürften nur in Länder zurückgebracht werden, in denen sie Asylanträge stellen können. Die Türkei gewährt den meisten Flüchtlingen temporären Schutz, Asyl können sie aber nicht beantragen.