„Unbequemes“ Algerien als Glücksgegner - Löws WM-Titelroute steht
Santo André (dpa) - In der Heimat jubeln alle über den Glücksgegner Algerien, im 9000 Kilometer entfernten Brasilien aber vermeidet Joachim Löw jede Euphorie.
Der Bundestrainer öffnete für seine Gruppensieger um WM-Phänomen Thomas Müller nach der Rückkehr vom schwer erkämpften 1:0-Erfolg gegen die USA zur Belohnung das Campo Bahia für die Spielerfrauen. Er selbst fokussierte sich dagegen schon am Freitag auf den kommenden Achtelfinal-Gegner.
„Dass die Algerier unbequem sind, haben sie bewiesen“, sagte Löw und warnte vor dem Duell am Montag in Porto Alegre mit dem krassen Außenseiter aus Nordafrika: „Bei einer Weltmeisterschaft gibt es keine Wunschgegner, auch keine einfachen Gegner, schon gar nicht in den K.o.-Spielen.“
Der Bundestrainer und seine Spieler hatten sich auf dem Rückflug nach Porto Seguro befunden, als sich der Weltranglisten-22. mit einem 1:1 gegen die in der Vorrunde gescheiterten Russen überraschend den zweiten Platz hinter Belgien in Gruppe H sichern konnte.
Kurz vor der Landung der Chartermaschine griff DFB-Präsident Wolfgang Niersbach zum Bordmikrofon und gratulierte dem Team um Kapitän Philipp Lahm in einer kurzen Ansprache zum Weiterkommen. Der Verbandsboss gab nach der ersten erfolgreichen Etappe in Brasilien aber auch gleich die neue Marschroute aus: „Das Zwischenziel ist erreicht, aber wir sind noch lange nicht dort, wohin wir wollen.“
Porto Alegre, Rio de Janeiro, Belo Horizonte und noch mal Rio - so lautet der Wunsch-Reiseplan bis zum Finale am 13. Juli für die deutsche Vielflieger-Gruppe um Torjäger Müller, der mit seinem vierten WM-Treffer das Tor zum Achtelfinale geöffnet hatte. „Wir haben riesigen Ehrgeiz, ein großes Ziel zu erreichen“, verkündete der 24 Jahre alte Bayern-Angreifer, der mit Argentinien-Held Lionel Messi und Brasilien-Heros Neymar um die Rolle des WM-Superstars streitet.
„Wir sind nicht hier, um ins Achtelfinale zu kommen und dann auszuscheiden. Wir sind hier, um den Titel zu holen“, tönte Mesut Özil. Die Schlagzahl erhöht sich nach der mit zwei Siegen und einem Unentschieden souverän erfüllten Vorrunden-Pflicht noch einmal: Im Vier- statt Fünf-Tages-Rhythmus geht es vorerst weiter.
„Jetzt geht es um alles oder nichts. Entweder man gewinnt oder man fährt nach Hause“, erklärte Löw voller Vorfreude und versprach den Fans in Deutschland für das erste von erhofften vier Endspielen: „Wir werden uns auf Algerien gut vorbereiten.“ Die Historie allerdings warnt: Gegen die Nordafrikaner hat Deutschland erst zwei Länderspiele bestritten - beide wurden verloren; das letzte 1982 mit 1:2 in Gijon bei der Vorrunde der WM in Spanien.
„Man kennt ja die nordafrikanischen Mannschaften“, erklärte Torwart Manuel Neuer: „Sie sind sehr agil, sie rennen rauf und runter, sind auch vom Einsatz her da. Am Ball können sie eigentlich alles.“ Ein größeres Kaliber als Jürgen Klinsmanns Amerikaner aber dürfte Algerien keinesfalls darstellen. „Ich sehe jetzt keine Mannschaft, die unschlagbar ist“, sagte Lahm selbstbewusst.
Auch Klinsmann traut seinem Nachfolger Löw den großen Wurf in Südamerika zu. „Deutschland ist unter den vier, fünf Favoriten“, urteilte der ehemalige Bundestrainer, der wie sein Freund Löw froh war, dass das brisante Gegeneinander in Recife für beide gut ausgegangen war. „Es wurde relativ viel Wind gemacht um unser Duell. Ich bin froh, dass es jetzt abgehakt ist“, gestand Klinsmann.
Der erste Druck ist beim deutschen Team, das als große Wundertüte in das Turnier gestartet war, abgefallen. „Es wäre eine Schande gewesen, wenn wir nicht ins Achtelfinale eingezogen wären“, sagte Neuer. Es sei ja „grundsätzlich ein komisches Turnier“, meinte der Torwart mit Blick auf die gescheiterten großen Nationen wie Spanien, Italien und England. „Wir haben definitiv einen großen Schritt nach vorne gemacht“, resümierte Lahm zum Vorrundenabschluss.
Löws wichtigste Erkenntnis in Recife war, dass er nun im Mittelfeld mit Bastian Schweinsteiger eine echte Alternative zu Sami Khedira hat. Mit dem Bayern-Mittelfeld Lahm, Kroos, Schweinsteiger trat das DFB-Team „absolut dominant“ auf, wie Löw hervorhob. 75 Minuten lang haute sich besonders der erstmals in der Startelf aufgebotene Vize-Kapitän Schweinsteiger in jeden Zweikampf, kurbelte das Offensivspiel an und strahlte exakt jene Präsenz aus, die in der Zentrale erforderlich ist. „Basti ist ein Stratege“, schwärmte Neuer über den Club-Kollegen, der die Arena Pernambuco wortlos verließ.
Zum „Man of the Match“ wurde zum zweiten Mal der vierfache Turniertorschütze Müller gewählt. „Das fühlt sich gut an, wenn man sich auf seine Fähigkeiten verlassen kann, das nötige Glück hat und es läuft“, sagte der 24-Jährige. Sein wunderbar platzierter Schuss aus 16 Metern ins rechte Eck war genauso geplant gewesen.
Neun Tore in neun WM-Spielen - Müllers Entwicklung scheint grenzenlos. „Jede Nation der Welt würde Thomas Müller gerne haben“, sagte US-Coach Klinsmann ein wenig neidisch. Auch Löw schwärmte wie selten in seinen acht Jahren als Bundestrainer: „Thomas ist körperlich und auch mental unglaublich gut drauf. Er geht sehr, sehr schlaue Wege, ist im Strafraum immer irgendwie da. Er ist ein sehr, sehr wertvoller Spieler für uns.“
Der Bundestrainer hat jetzt aber auch selbst in den Kampfmodus geschaltet. Klatschnass vom Regen stapfte er nach den 90 packenden Minuten gegen die USA Richtung Kabine, auch er hatte in der Coaching Zone alles gegeben. „In den K.o.-Spielen ist natürlich eine erhöhte Dynamik und Brisanz“, kündigte der 54-Jährige an.
Bei einem Favoritensieg gegen Algerien wäre im Viertelfinale im Endspielstadion Maracanã von Rio Frankreich oder Nigeria der Gegner. Und im Halbfinale würde auf jeden Fall eine Mannschaft aus Südamerika auf den famosen Müller und seine Mitstreiter warten, womöglich Gastgeber, Rekord-Weltmeister und Topfavorit Brasilien. „Was noch fehlt, sind vier Spiele, die wir gewinnen müssen“, meinte Toni Kroos.