Kein klares Mandat für May Viele Fragezeichen vor den Brexit-Gesprächen
Brüssel/London (dpa) - Rückschlag statt Rückenwind: Die britische Premierministerin Theresa May steht nach der vorgezogenen Neuwahl vor einem Scherbenhaufen. Im Parlament verliert die Konservative ihre Mehrheit - das von ihr gewünschte klare Mandat für die
Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union gibt es nicht. Niemand weiß, ob unter diesen schwierigen Umständen bis März 2019 tatsächlich ein geordneter und für alle Seiten erträglicher EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gelingt.
Was bedeutet das Wahlergebnis für die Verhandlungen?
Harter Brexit? Weicher Brexit? Die Botschaft der britischen Wähler ist nicht einfach zu entziffern. Letztlich seien innenpolitische Gründe wahlentscheidend gewesen und nicht der nahende EU-Austritt, sagt Experte Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel. Klar ist aber, dass May für ihre bisher sehr harte Verhandlungslinie gegenüber der EU keine eigene Mehrheit hat. Sollte ihr die gewünschte Regierungsbildung mit Hilfe der nordirischen Partei DUP gelingen, wird dies auch die Position zum Brexit prägen. „Der Ausgang der Wahl beeinflusst also durchaus, wie der Brexit ablaufen wird“, meint Zuleeg.
Wie reagiert die EU auf den Wahlausgang?
Die Spitzen von EU-Kommission und Rat geben sich - ebenso wie die Bundesregierung - maximal diplomatisch und beteuern, man stehe für Brexit-Verhandlungen jederzeit bereit, sobald es die britische Seite einrichten könne. Aber das Echo aus dem Europaparlament ist verheerend. „May ist gescheitert“, sagt der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier. Von Chaos spricht der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber. Verkalkuliert habe sich May, meint der liberale Parlamentsvizepräsident Alexander Graf Lambsdorff. Und fast alle scheinen einig: Die Verhandlungen werden nun nicht einfacher.
Wie steht die EU überhaupt zu May?
Ursprünglich sah man die Konservative als Pragmatikerin, zumal sie früher einmal gegen den Brexit war. Aber im Wahlkampf wurde die Stimmung zunehmend gereizt. London war „not amused“ über in Brüssel gestreute Informationen, May sei planlos und weltfremd. Brüssel wiederum zeigte sich irritiert über Mays Drohung, die Verhandlungen notfalls platzen zu lassen und die EU ohne Vertrag Knall auf Fall zu verlassen. Die gängige Lesart in Brüssel: Das würde beiden Seiten massiv schaden, vor allem aber Großbritannien.
Wann starten die Verhandlungen?
Die EU will am 19. Juni beginnen - May gibt sich zuversichtlich, dass sie das einhalten kann. Sie werde sofort eine neue Regierung bilden, ist ihre Botschaft wenige Stunden nach dem Wahldebakel. Tatsächlich tickt die Uhr für beide Seiten: Nur bis Ende März 2019 läuft die Frist, ein Abkommen über die Trennung und die Eckpunkte der künftigen Beziehungen zu schließen.
Wo liegen die ersten Hürden?
Die EU will drei hoch komplizierte Themen rasch klären. Erstens verlangt sie Garantien, dass die rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien mit allen Rechten so weiterleben können wie bisher. Zweitens will sie eine Abschlussrechnung für die britische EU-Mitgliedschaft aushandeln, die nach inoffiziellen Zahlen bis zu 100 Milliarden Euro betragen soll. Drittens wie die EU eine harte Grenze zwischen ihrem Mitglied Irland und dem britischen Nordirland vermeiden.
Was will May?
Sie erhob den Brexit im Wahlkampf zwar zum Topthema, blieb aber in Einzelheiten sehr vage. So viel ist klar: Auch May will eine rasche Vereinbarung über die Rechte der Briten in der EU. Eine große Zahlung an Brüssel lehnt sie ab. Und sie will eine andere Abfolge der Verhandlungen: Von Anfang an soll auch über ein Freihandelsabkommen für die Zeit nach dem Austritt geredet werden.
Wo muss May jetzt besondere Rücksicht nehmen?
Der von ihr angestrebte Pakt mit der nordirischen DUP rückt vor allem die irische Frage in den Mittelpunkt. Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Nordirland ist die Insel ein gemeinsamer großer Wirtschaftsraum. Künftig wird eine EU-Außengrenze sie teilen. Die große Frage ist: Wie verhindert man eine Trennung? Denn diese könnte alte Konflikte aufreißen zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen jenen Nordiren, die zu Großbritannien gehören wollen, und denen, die nach Unabhängigkeit oder Vereinigung mit Irland streben. Die DUP stehe für enge Bande mit London, sagt Experte Zuleeg. Das mache die Suche nach einer Lösung schwieriger. Und so mahnt auch CSU-Vize Weber: „Wir haben große Sorge wegen der Situation in Nordirland. Der Friedensprozess darf keinen Schaden nehmen.“