„Volksrepubliken“ spalten sich nach Referendum ab
Brüssel/Kiew (dpa) - Nach dem umstrittenen Referendum im Osten der Ukraine haben sich die abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk am Montag von Kiew abgespalten. Die selbst ernannte „Volksrepublik Donezk“ bat zudem Moskau um Anschluss an Russland.
Der Westen betrachtet ebenso wie die Regierung in Kiew das Referendum als illegal, da es in der Ukraine unter anderem kein Gesetz über lokale Volksabstimmungen gibt.
Die Europäische Union verhängte 13 neue Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen führende Politiker und Aufständische auf der Krim und im Osten der Ukraine. An der Spitze der nunmehr 61 Personen auf der EU-Sanktionsliste steht Wjatscheslaw Wolodin, erster stellvertretender Stabschef der Präsidialverwaltung Russlands.
Ob und wann harte Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union folgen sollen, ist umstritten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, darüber müsse man reden, falls die am 25. Mai in der Ukraine geplante Präsidentenwahl nicht zustande komme.
US-Regierungssprecher Jay Carney sprach nach der von Separatisten organisierten Abstimmung von einem „sogenannten Referendum“. Es sei unter ukrainischen Gesetzen illegal und zudem ein „durchsichtiger Versuch, weitere Spaltung und Unruhe zu schaffen“. Washington sei zudem enttäuscht, dass Moskau nicht seinen Einfluss genutzt habe, um die Abstimmung zu verhindern.
Dagegen erklärte Russland, das erst vor kurzem die ukrainische Halbinsel Krim annektiert hatte, es „respektiere“ die Willensbekundung der Bevölkerung der ostukrainischen Regionen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich enttäuscht über diese russische Reaktion. Er habe sich distanziertere Kommentare des Kremls erhofft, sagte der Minister am Montag in Brüssel.
Zugleich warnte Steinmeier bei einer Gesprächsrunde in Düsseldorf vor den Folgen einer Eskalationsspirale gegen Russland. „Ein Wirtschaftskrieg würde vor allem den Westen treffen“, sagte er. Vor seiner Reise in die Ukraine an diesem Dienstag warnte Steinmeier vor einer Aufspaltung des Landes: „Wenn wir jetzt anfangen, Grenzen zu korrigieren in diesem Nachkriegseuropa, das wird kein Ende nehmen.“
Nach dem Willen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sollen sich die verfeindeten Lager in der Ukraine an einem Runden Tisch versöhnen. Ein „nationaler Dialog“ unter Leitung des früheren deutschen Botschafters Wolfgang Ischinger könne schon diese Woche beginnen, sagte OSZE-Chef Didier Burkhalter am Montag.
Ob Gespräche an einem Runden Tisch überhaupt zustande kommen, hängt stark von der Regierung in Kiew ab. Die dortige Führung lehnt es bislang ab, mit den größtenteils bewaffneten prorussischen Separatisten direkt zu verhandeln. Die Staatsmacht hat nach eigenen Angaben die Kontrolle über die Region weitgehend verloren.
Burkhalter sagte zur Frage, ob an dem geplanten Runden Tisch auch Separatisten sitzen sollen, man diskutiere derzeit die Modalitäten. „Ich denke nicht, dass da Leute mit Waffen kommen.“ Ischinger soll das Gremium in einer Doppelsitze leiten, zusammen mit einem noch nicht benannten ukrainischen Vertreter. Der 68 Jahre alte frühere Spitzendiplomat ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.
Die Beratungen des Runden Tisches sollen nach dem OSZE-Plan durch öffentliche Konferenzen (Town Hall Meetings) in verschiedenen ukrainischen Städten ergänzt werden. Hauptthemen wären laut Burkhalter unter anderem eine stärkere Dezentralisierung und ein gesicherter Status der russischen Sprache. Auch Moskau wünscht sich, dass alle Regionen mehr Eigenständigkeit erhalten, mit weitreichender Autonomie besonders für die russisch geprägten Gebiete.
In Lugansk sprachen sich laut der selbst ernannten Wahlkommission knapp 96 Prozent für eine Unabhängigkeit aus - bei einer Wahlbeteiligung von 81 Prozent. In Donezk hieß es, die Zustimmung für eine Selbstständigkeit betrage 89 Prozent. Hier hätten sich knapp 75 Prozent der Abstimmungsberechtigten beteiligt. Die Unruhe-Region Lugansk rief offiziell ihre Unabhängigkeit als „Volksrepublik“ aus. Die Bevölkerung des Gebiets habe klar für einen souveränen Staat gestimmt, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Erklärung.
Nach dem Referendum schlug Kiew scharfe Töne an. Interimspräsident Alexander Turtschinow sagte: „Diese Propaganda-Farce hat keine juristischen Folgen - außer Strafverfahren gegen die Organisatoren.“ Ziel der Initiatoren sei es, die Lage maximal zu destabilisieren, um die Präsidentenwahl in zwei Wochen zu verhindern.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, warnte vor möglichen globalen Folgen der Ukrainekrise. „Es ist ein neues Risiko für die Weltwirtschaft“, sagte sie dem „Handelsblatt“. Die frühere französische Finanzministerin sagte zudem, dass die Ukraine mehr als die vom IWF bereits zugesagten Hilfen in Höhe von 17 Milliarden Dollar benötigen werde.
Russland drohte der nahezu bankrotten Ukraine ultimativ mit einem Stopp der Gaslieferungen vom 3. Juni an. „Falls keine Vorauszahlung eintrifft, wird die Ukraine im Juni auch null Kubikmeter Gas erhalten“, sagte der Chef des Staatskonzerns Gazprom, Alexej Miller, am Montag bei einem Treffen mit Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Russland werde an diesem Dienstag die Rechnung für Juni schicken. Stichtag sei der 3. Juni um 10.00 Uhr (8.00 Uhr MESZ), sagte Miller. Russland fordert von der Ukraine 3,508 Milliarden US-Dollar (2,55 Milliarden Euro) für Gas und verlangt deshalb neuerdings Vorkasse.