Was bedeutet das „Brexit-Kabinett“ für die EU?

Berlin/Brüssel (dpa) - An Überraschungen von der britischen Insel haben sich die 27 Partner in der EU seit dem Brexit-Referendum schon gewöhnt. Mit ihrem Regierungsteam sorgt die frischgebackene Premierministerin Theresa May nun aber für neue Verwunderung - vor allem wegen ihres Außenministers Boris Johnson.

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Was bedeutet das „Brexit-Kabinett“ für Deutschland und den Rest Europas? Einige Fragen und Antworten.

Was erwartet die Rest-EU von der neuen Regierung?

Vor allem Klarheit darüber, wie es weitergeht. Die meisten wollen, dass May nun so schnell wie möglich den Austrittsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags stellt. Dann sollen nämlich die Verhandlungen darüber beginnen, wie die Beziehungen zwischen EU und Vereinigtem Königreich künftig aussehen. Je länger die Unsicherheit dauert, desto höher dürften die wirtschaftlichen Kosten ausfallen. May selbst hatte im Referendum für „Bleiben“ gestimmt. Umso mehr stellt sie nun immer wieder klar, dass sie sich an das Referendum halten wird: „Brexit heißt Brexit.“

Bedeutet dies, dass der Antrag nun auch schnell kommt?

Nein. Mit der Regierungsbildung sind die Grundlagen für den Start der Austrittsgespräche theoretisch zwar gelegt. May hat aber durchblicken lassen, dass es erst nächstes Jahr losgehen soll. Noch hat ihre Regierung keinerlei Verhandlungsstrategie. Und auch keinerlei Anlass, den Antrag jetzt schon einzureichen. Dann könnte die EU nämlich darauf bestehen, dass die Gespräche binnen zwei Jahren abgeschlossen werden. So aber gilt: Die EU muss warten. Selbst kann sie nichts tun.

Wann trifft sich May das erste Mal mit Angela Merkel?

Der genaue Termin ist noch nicht bekannt. Aber die Einladung nach Berlin hat die Premierministerin schon in der Tasche. Gleich nach der Ernennung bekam sie einen Anruf der Kanzlerin, die - was auch sonst - versicherte: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“ Im Kanzleramt wird erwartet, dass May einen strengen Brexit-Kurs fahren wird - möglicherweise einen strengeren als dies ein Premierminister Johnson getan hätte. Dem Brexit-Mann hätten einige zugetraut, dass er das Referendum nach ein paar Monaten für hinfällig erklärt. Bei May, die zuhause noch Zweifler überzeugen muss, vermutet man das nicht.

Johnson war bislang sehr undiplomatisch. Wie glaubwürdig ist er als Außenminister überhaupt?

An seinem Image wird er noch ziemlich arbeiten müssen. Auf dem Kontinent schlug dem neuen Außenminister am Donnerstag offene Ablehnung entgegen. Der künftige französische Kollege Jean-Marc Ayrault hielt ihm vor, die letzten Wochen „viel gelogen“ zu haben. Frank-Walter Steinmeier sprach - kurz vor Johnsons Ernennung - von „verantwortungslosen Politikern“, die die Briten erst in den Brexit gelockt und sich dann aus dem Staub gemacht hätten. Klar, wer gemeint war. So deutlich sagt er das nun nicht mehr. Dafür nannte er Johnson einen „gewieften Parteipolitiker“ - auch ein recht vergiftetes Kompliment. Nächste Woche sehen sich die beiden zum ersten Mal.

Wird Johnson nun zum „King of Brexit“ des Kabinetts?

Noch sind in der Regierung die Machtverhältnisse nicht geklärt. Mit der Ernennung zum Außenminister hat May den prominentesten Brexit-Mann in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Wie viel er bei den Austrittsgesprächen tatsächlich zu sagen hat, ist aber noch offen. May steht vor allem selbst in der Verantwortung. Zudem gibt es ja noch einen eigenen Brexit-Minister, David Davis. Könnte also sein, dass sich Johnson vor allem um andere Themen kümmert. Auf jeden Fall hat er einiges zu verlieren - und wenig zu gewinnen.

Besteht die Möglichkeit, dass die neue Regierung Großbritannien doch nicht aus der EU führt?

Nicht nur May, sondern auch so gut wie alle anderen Beteiligten verneinen dies derzeit. Merkel sagt: „Ich befasse mich mit den Realitäten.“ Denkbar allerdings, dass die Austrittsverhandlungen für Großbritannien zu einem Debakel werden. Wenn die Premierministerin am Ende merkt, dass der Brexit enorm viel kostet, könnte sie den Austrittsvertrag dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Im Moment halten das viele allerdings für „Wunschdenken“ der Kontinental-Europäer. Aber wer weiß schon, was passiert, wenn der Zerfall des Königsreichs droht, weil die EU-freudigen Schotten in die Unabhängigkeit streben?