Analyse: Mehr Gewalt von Linksautonomen
Berlin (dpa) - Für die Demonstration werden schwarze Hosen, T-Shirts und Jacken angelegt. Sonnenbrille, eine schwarze Mütze und ein Schal vervollständigen die Uniform der Linksautonomen. Die Kleidung gilt juristisch noch nicht als verbotene Vermummung bei Demonstrationen.
Beginnen erste Angriffe auf die Polizei, zieht der halbe schwarze Block Schal oder Halstuch hoch und ist nicht mehr zu erkennen.
Teile dieser linksautonomen Szene suchen systematisch die Gewalt, wie bei den Krawallen am Samstag in Berlin. Offiziell unterstützten die Demonstranten ein „alternatives Wohnprojekt“ im Stadtteil Friedrichshain und kritisierte dortige Polizeieinsätze. Rund 20 Vermummte scherten aus und warfen Steine auf Polizisten.
Ein paar Ecken weiter, als in der Dunkelheit die Lage zusehends unübersichtlich wurde, eskalierte die Gewalt. Pflastersteine, Flaschen und Böller wurden geworfen, bengalisches Feuer entzündet, Silvesterraketen in den Himmel geschossen. Mehr als 120 Polizisten wurden verletzt, die meisten von ihnen leicht.
Bundesweit rechnet der Verfassungsschutz 7700 Menschen dem „gewaltorientierten“ Teil der linksextremistischen Szene zu. Feindbilder der Gruppen sind „Kapitalismus, Faschismus, Rassismus und Militarismus“. Polizei und Geheimdienste klagen über eine wachsende Gewaltbereitschaft. Straftaten, Gewalttaten, Körperverletzungen - die Zahlen gehen allesamt nach oben.
Die Zahl der Gewalttaten nahm um fast 35 Prozent zu - auf 2246 Delikte. 1354 davon waren Körperverletzungen, rund 46 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Polizei zählte acht versuchte Tötungen - vier bei Protestaktionen gegen die Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, alle richteten sich gegen Polizisten.
Die Hemmschwelle, Beamte zu verletzen, sei gesunken, klagen Verfassungsschützer. Auch die Konfrontationen mit Rechtsextremen werden härter. Das Erstarken von Rechtspopulisten ruft Autonome auf den Plan. Die Gruppierungen schaukeln sich gegenseitig hoch.
Die aggressive Einstellung zeigt ein im Internet veröffentlichter Bericht von „Autonomen Gruppen“ zur Berliner Demonstration. Kurz nach Beginn „setzten sich erste behelmte Schweine an die Demo, um diese provokant zu begleiten. Dies wurde von Teilnehmern entschlossen mit Stein & Flaschenwürfen beantwortet“.
Hochburgen der Linksautonomen sind neben Berlin auch Hamburg und Leipzig. Das seit 1989 besetzte Kulturzentrum „Rote Flora“ in Hamburg gilt als Zentrum linksautonomer Entwicklungen. Alle Versuche, das Gebäude zu räumen scheiterten. Inzwischen hat die Stadt die „Rote Flora“ zurückgekauft und an eine Stiftung übertragen, die die Besetzer offiziell gewähren lässt.
In Leipzig sprach Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) 2015 von „offenem Straßenterror“. Damals kam es bei einer Neonazi-Demo zu Krawallen linker Gegendemonstranten. Vermummte warfen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper auf Polizisten. Die gingen mit Wasserwerfern und Reizgas gegen die Randalierer vor.
In Berlin zählt der Verfassungsschutz 940 gewaltbereite Autonome und Postautonome, etwas weniger aggressiv auftretende ältere Akteure. In Hamburg gehören 480 Menschen zu den Autonomen, in Sachsen sind es 370. Die Szene ist zersplittert. In Berlin sind viele Aktivisten in Kleingruppen, vor allem aus der „Anarcho“-Szene unterwegs, so der Verfassungsschutz. Sie wollen autonome „Freiräume“ verteidigen, Bereiche ohne Staat, Polizei und Gesetze.
Dabei profitieren Linksautonome von einer Tolerierung im linksalternativen Polit-Spektrum, wie Äußerungen von Linken, der Grünen Jugend und Experten belegen. Es gebe eine „klammheimliche oder offene Solidarität mit den linken Gewalttätern“, sagte der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder von der FU Berlin dem Deutschlandradio. „Das liegt daran, dass große Teile im rot-rot-grünen Milieu doch eher lieber weggucken oder linke Gewalttaten verharmlosen oder relativieren mit Hinweis auf rechte Gewalttaten.“
Ziel aller demokratischer Parteien müsse sein, mit Gesprächen „die nicht gewaltbereiten, radikalen und gemäßigten Linken zu trennen von den gewaltbereiten“, so Schroeder. Das sei zwar unwahrscheinlich, „aber man kann es versuchen.“